Kein Platz mehr für obdachlose Menschen?

Gruppenfoto: Pfand gehört danebenv.l.n.r. Pascal Fromme von der fritz-kola Initiative "Pfand gehört daneben", Julia von Lindern vom Bundesverband Housing First, Julien Peters, Mitglied der Initiative Solidarische Straße Foto: Pfand gehört daneben

Gemeinsamer Aufruf der fritz-kola Initiative „PFAND GEHÖRT DANEBEN“, Bundesverband Housing First und Solidarische Straße an die Bundesregierung und das Bezirksamt Hamburg.

Der Hamburger Hauptbahnhof ist nicht nur der verkehrsreichste Bahnhof Deutschlands, der aktuell aus allen Nähten platzt. Er ist auch ein Magnet für Menschen, die am unteren Teil der Sozialskala leben. Ein raues Sozialklima ist kennzeichnet für den Verkehrsknotenpunkt. Für obdachlose und bettelnde Menschen, die durch das Sammeln von Pfandflaschen ihre Lebensgrundlage sichern müssen, sind sie oft das einzige Dach über dem Kopf, das ihnen bleibt.

Ungebremste Einwanderung nach Deutschland und in die Sozialsysteme verbunden mit immer weniger Neubau von Wohnungen schaffen eine prekäre Lage

Die Verdrängung steht im klaren Widerspruch zum Aktionsplan der Bundesregierung zur Überwindung der Wohnungslosigkeit, der eine merkliche Verbesserung für Betroffene vorsieht, indem ihnen der Zugang zu dauerhaftem Wohnraum ermöglicht wird.

Die fritz-kola Initiative „Pfand gehört daneben“, der Bundesverband „Housing First“ und die „Initiative Solidarische Straße“ aus Hamburg schlagen Alarm und appellieren an die Bundesregierung und das Bezirksamt Hamburg, denn es braucht Solidarisierung und dauerhafte Perspektiven für die wohnungslose Menschen. Das Bündnis fordert die flächendeckende Umsetzung des sogenannten „Housing First“-Ansatzes, um Obdachlosigkeit in Deutschland langfristig zu verringern.

Housing First stellt die eigene, mietvertraglich abgesicherte Wohnung an den Anfang der Hilfe – und beendet damit Obdachlosigkeit ganz unmittelbar. Denn Wohnen ist ein Menschenrecht für alle Menschen. Eine eigens durchgeführte repräsentative Studie 1 liefert Einblicke in die Wahrnehmung von obdachlosen, pfandsammelnden und bettelnden Menschen in Deutschland.

Obdachlose Menschen brauchen vor allem eins: eine Wohnung

In der bundesweiten Befragung von 1.003 Teilnehmern wird deutlich: Mehr als die Hälfte (52,8 %) befürwortet Maßnahmen wie Platzverweise oder Bettelverbote an Hauptbahnhöfen – wahrscheinlich in dem Vertrauen, dass obdachlose, bettelnde Menschen in ein unterstützendes System überführt werden. Allerdings ist das bestehende Hilfesystem häufig quantitativ und qualitativ unzureichend. Es gibt kaum ausreichend Schlafplätze und die Unterkünfte reichen nicht aus. Angemessene Hilfe kann so nicht stattfinden. Ein ebenfalls großer Anteil der Befragten (54,6 %) erkennt den drängendsten Bedarf von obdachlosen Menschen – ein festes Dach über dem Kopf. Doch genau das wird durch die Verdrängung maßgeblich verhindert.

Housing First – eigene Wohnung statt Vertreibung  

Das sind wichtige Argumente für „Housing First“: Die deutliche Mehrheit aller Befragten (76,9 %) kennt diesen innovativen Ansatz zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit allerdings nicht. Was steckt dahinter? 

„Obdachlosigkeit ist die krasseste Form der Armut in unserer Gesellschaft. Obdachlose Menschen leiden oftmals unter Hunger, Durst, Kälte oder Hitze, Gewalt sowie fehlender Privatsphäre. Dabei ist Wohnen ein Menschenrecht. Housing First setzt dieses Menschenrecht ganz unmittelbar um und bietet damit genau den Menschen ein Angebot, die vielfach von anderen Hilfen nicht mehr erreicht werden“,

erklärt Julia von Lindern vom Bundesverband Housing First.

Hamburg führt bereits seit 2021 ein Housing First Modellprojekt durch. Hier fordern die drei Initiativen einen Übergang der Modellphase in ein zeitlich unbeschränktes Konzept.

Lösungen finden – Perspektiven schaffen 

Seit seiner Gründung setzt sich fritz-kola mit seiner sozialen Initiative „Pfand gehört daneben“ für soziale Gerechtigkeit ein. Deshalb kritisieren sie die mangelnde Effizienz der Bundesregierung bei der Bekämpfung der Obdachlosigkeit in Deutschland. Aktuell sind 262.600 Menschen in Deutschland ohne festen Wohnsitz, davon leben 38.500 tatsächlich auf der Straße. Einer Hochrechnung für 2022 zufolge hatten 196.000 Wohnungslose einen deutschen Pass, 411.000 waren Ausländerinnen und Ausländer. Das macht Sozialarbeit nicht gerade einfacher.

„Viele obdachlose Menschen könnten ohne das Pfandsammeln nicht über die Runden kommen. Genau darum motivieren wir mit unserer Aktion ‚Pfand gehört daneben‘ dazu, leere Pfandflaschen neben Abfalleimern abzustellen. So ersparen wir Bedürftigen das unwürdige und gefährliche Durchsuchen des Mülls.”

Pascal Fromme von der fritz-kola Initiative Pfand gehört daneben

„Doch ‚Housing First‘ muss mehr als ein Modellprojekt sein. Zudem brauchen wir eine klare finanzielle und politische Verpflichtung auf Bundesebene. Ein Investitionsfond und eine verbindliche Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sind hier entscheidend. Die Verdrängung von Wohnungslosen und Hilfsorganisationen in Außenbezirke dient lediglich dem Image des Hauptbahnhofs. Dabei leidet dieses Image vor allem durch das aktuelle Vorgehen, denn eine soziale und gerechte Stadt geht würdiger mit Mitmenschen um.“

Julien Peters, Mitglied der Initiative Solidarische Straße

Über „Pfand Gehört Daneben“

Die Aktion „Pfand Gehört Daneben“ erinnert die Besitzer leerer Pfandflaschen daran, sie ordentlich neben Abfalleimern abzustellen. Damit wird Obdachlosen das mühsame und gefährliche Wühlen in Abfallbehältern erspart. Zusätzlich landen mehr Mehrwegflaschen bei Getränkeherstellern anstelle der Müllverbrennung. Nach der Übernahme der Gründerinitiative im Jahr 2015 setzen engagierte Mitglieder ihre Arbeitszeit und Herzblut in die Initiative. Über 100 Partner, darunter Getränkehersteller, unterstützen „Pfand gehört daneben“, um Pfandgelder leichter Bedürftigen zugänglich zu machen. Die Initiative dehnt sich sogar nach Polen und in die Niederlande aus, unter dem Namen „Every Bottle Helps“.

Mehr Infos: pfand-gehoert-daneben.de

Housing First aus der Praxis für die Praxis

Der junge Verband vereint jene Träger, Initiativen und Projekte, die in Deutschland Housing First bereits erfolgreich als Pilot- und Modellprojekte praktizieren. Ziel ist es, die Straßenobdachlosigkeit in Deutschland dauerhaft zu überwinden. Mehr Infos: bundesverband-housingfirst.de

Über die Initiative Solidarische Straße

Die Initiative Solidarische Straße ist ein Zusammenschluss von Menschen aus den Bereichen: Straßensozial- und Antidiskriminierungsarbeit bis hin zur Kultur- und Kreativarbeit. Der Nenner ist die Solidarität mit den Menschen auf der Straße. Die Initiative Solidarische Straße soll auch als eine Einladung an die Hamburger Zivilgesellschaft, sich mit Menschen auf der Straße zu solidarisieren, sein

  1. National repräsentative Online-Umfrage durchgeführt von Appinio im Auftrag von fritz-kulturgüter. Befragungszeitraum: 17.11.2023; Befragte: 1.003 Teilnehmer ab 18 Jahre aus Deutschland ↩︎