32. Brunch des Clubs der Optimisten: Ein genauer Blick auf die Wirklichkeit

Rüdiger von Fritsch und Lutz Peter EklöhRüdiger von Fritsch und Lutz Peter Eklöh während der Begrüßungsrede von Barbara Kunst (c) Club der Optimisten

Eindrucksvoll: Rüdiger von Fritsch sprach im Club der Optimisten über den Krieg, Verständnis und Optimismus

Der letzte Apriltag des Jahres, Frühlingssonne über Hamburg und zum 32. Mal trafen sich am Samstag in HanseLounge Unternehmer, Entscheider und Persönlichkeiten aus Kultur und Medien jedweder Couleur bei Club der Optimisten. Alles Menschen, die mitten im Leben stehen, Dinge bewegen und, gerade weil sie Optimisten sind gern über den Tellerrand schauen und nicht viel von Tunnelblicken halten. Sie eint, mit Lebensfrohsinn und Optimismus wird die Wirklichkeit gestaltet und Ideologie und Verzagtheit sind die schlechtesten Ratgeber.

Optimismus in Zeiten der Corona-Pandemie und des verbrecherischen Krieges Russland gegen die Ukraine. Ja, da muss man einmal ganz tief durchatmen. Denn beide Ereignisse schienen undenkbar, doch sie haben schonungslos gewaltige Schwächen in unserer Politik, Gesellschaft und Wirtschaft offengelegt. Die Auswirkungen sind so vernetzt, dass man sie nur im Ansatz heute übersehen kann. Nur ein Beispiel ohne den russischen und ukrainischen Weizenexport drohen nicht nur gewaltige Preissteigerungen in Entwicklungsländern sondern sogar Hungersnöte. Dagegen ist ein leeres Sonnenblumenölregal bei Aldi oder Lidl eine näppiche Kleinigkeit.

Ein gesunder Optimismus wäre am Platz gewesen, denn Optimisten gehen davon aus, dass sich Entwicklungen, Schwierigkeiten und Probleme, wenn man sie zupackend angeht, gelöst werden können. Gerade weil man der Zukunft zugewandt ist, wird die Wirklichkeit kritisch analysiert und hinterfragt. Nicht mit dem Ziel des Nörgelns, sondern weil man Dinge verbessern will. Aber die gesellschaftliche deutsche Elite ist vieles, nur wenn es um Optimismus geht, dann hat sie so ihre Schwierigkeiten. Auch die Warnungen unsere osteuropäischen EU-Partner wurden wenig ernst genommen oder sie wurden klein geredet. Vielleicht ist es so wie mit einem Auto bei dem die Bremsen nicht gewartet werden. Es kommt nie gleich zum Bremsversagen, aber irgendwann bremst ein Auto nicht mehr.

Deutschland hatte sich es sich biedermeierwohlig gemütlich gemacht, pflegte seine oberflächigen moralischen Befindlichkeiten und begab sich sehenden Auges in eine immer größere Abhängigkeit von billigen Gas und Öl aus Russland. Wer in Vergangenheit darauf hinwies, wurde nicht selten als ewig gestriger Kalter Krieger ausgegrenzt. Natürlich hat auch die deutsche Industrie beste Geschäfte gemacht.

Gruppenfoto Club der Optimisten April 2022 in Hamburg
Arthur E. Darboven mit Barbara Kunst und Lutz Peter Eklöh (c) Club der Optimisten

Rüdiger Freiheit von Fritsch – Ein Blick hinter die russische Fassade

Nein, mit heiterer Gelassenheit durchs Leben gehen, dieses Lebensgefühl ist momentan schwer denkbar. So war der Redebeitrag des ehemaligen deutsch-russische Botschafters Rüdiger von Fritsch zum traditionellen 32. Frühjahres Brunch sicherlich ein außergewöhnlicher Moment in der nicht an Höhepunkten armen Clubgeschichte.

“Verstehen ist extrem wichtig. Erfolgreiches Verstehen ist die Voraussetzung guten Handelns und es darf nie, wie es in Deutschland nur allzu häufig geschieht, verwechselt werden mit automatischem Billigen. Wenn ich jemanden verstehe, heißt das nicht, dass ich es auch gutheiße.”

Rüdiger Freiherr von Fritsch, ehemaliger deutscher Botschafter in Russland

Er sprach vorm Club der Optimisten davon, dass man Verständnis haben müsse, und brachte so einige neue Blickwinkel auf die Geschehnisse, die sich seit Anfang des Jahres in Europa ereignet haben. Was er unterlies. Es war eine Rede ohne überhebliche Besserwisserei oder einseitige Schuldzuweisungen. Ihm geht es nicht darum, wie Deutschland etwas sieht oder imaginiert, sondern wie die russische Seite denkt und fühlt. Ohne diese Erkenntnis kann man politische und diplomatische Prozesse nicht verantwortlich gestalten.

Rüdiger von Fritsch erläuterte die russische Sicht, machte die Narrative und Strategien transparent und ordnete sie ein. So kam er schnell auf das russische Trauma, das einsetzte, als die letzte europäische Kolonialmacht zerbrach, zu sprechen. Von der urrussischen Identität, die noch heute im Osten der Ukraine, Belarus und Westrussland verhaftet liegt und deren Gebiete im imperialen, großrussischen Denken des Diktators wieder zusammengeführt werden sollen.

Das darf nicht vergessen werden, von Fritsch sprach auch von Putin als ehemaligem KGB-Offizier. Gerade hier sieht der Botschafter a.D. unter anderem Putins verschobenes Weltbild begründet – es heißt, “einmal KGB, immer KGB.”

Drei Punkte um das Denken und Handeln der russischen Politik besser zu verstehen

Der Putin-Komplex

Putin denke stets militärisch und in Verschwörungstheorien. Die Folge, in Russland sind vordergründig gestellte Schuld-Fragen, die auf Andere abwälzen, üblich. Die Anderen, das sind die Fremden, vor allem die NATO-Staaten, deren Geheimdiensten allerhand Sondereinsätze zur Stiftung von Unfrieden, vorgeworfen werden. 

Zu diesen Vorwürfen habe von Fritsch schon häufiger während seiner Zeit in Moskau geäußert:

“Ich wünschte, wir würden so raffiniert handeln, wie ihr das hier immer glaubt.”

(Mit dieser Anekdote hatte der ehemalige Botschafter die Lacher der Optimisten auf seiner Seite.)

Das PRB-System

Putins Regime basiert in erster Linie auf den drei Grundpfeilern Propaganda, Repression und Bestechung. Drei Machttechniken die kostspielig sind und viele Ressourcen verbrauchen. Aus diesem Grund benötigt das russische Staatsoberhaupt auch große Geldmengen, um diese Maschinerie am Laufen zu halten. Der Verkauf von Rohstoffen finanziert das, aber im normalen Wirtschaftsleben kommen zu wenig Mittel an.

Aus Sicht von von Fritsch setzt hier der Wirkmechanismus der europäischen Sanktionen ein. Allerdings, auf russische Oligarchen und Berater könne man sich leider nicht mehr verlassen. Es gibt keine die russische Oligarchie – die politische Einigkeit der Superreichen – mehr. Auch Putins Berater erzählten ihm nur, was er hören wolle. So entsteht eine Meinungsblase.

So kam die fundamentale Fehleinschätzung des russischen Präsidenten im Hinblick auf die Wehrhaftigkeit der Ukraine und die Fähigkeiten seiner eigenen Streitkräfte zu Stande. Der Grund, warum die Übermacht der russischen Armee den kleineren und unterlegenen Nachbarn noch nicht eingenommen habe, läge laut Einschätzung von Fritschs an der fehleranfälligen und schlecht organisierten Kommunikations- und Befehlsstruktur.

“Eine Waffe ist eine Waffe ist eine Waffe.”

wandelte Rüdiger von Fritsch in seinem Vortrag schließlich den berühmtesten Satz Gertrude Steins um, in dem es darum geht, dass die Dinge sind, wie sie nun einmal sind. Er bezog sich damit auf das Völkerrecht und stellte noch einmal klar, dass per Gesetz jeder Staat einen anderen Staat in der Verteidigung seiner Ländergrenzen unterstützen darf, wenn dieser angegriffen wurde – ohne damit gleich als kriegsbeteiligt zu gelten. Dabei unterscheide das Völkerrecht nicht zwischen Einhandwaffen oder Panzern.

Putin, so von Fritsch, habe ein System der Nachkriegszeit zerstört, dass die Sowjetunion mit aufgebaut hatte: Ein System der Kommunikation, des Handels und des Friedens. Die unmissverständliche  politische 180°-Wende der deutschen Bundesregierung und die damit verbundene massive Erhöhung der Rüstungsausgaben setzte hierzu ein klares Zeichen, das Putins Ära der Konfrontation unterstrich. Verabredungen mit Putin scheinen nach wie vor schwierig und werden es wohl auch bleiben: Ein wirklicher, gewinnbringender Austausch ist nicht mehr möglich. Die Frage, die sich für den ehemaligen deutschen Botschafter hierbei jedoch viel eher stellt: Nicht, wie kommt Putin aus dieser Sache heraus, sondern…

Wie kommt Russland da wieder raus?

Für die Zukunft hat Wladimir Putin eines geschafft: Der Westen bzw. die NATO ist dank dieses innereuropäischen Krieges geeinter denn je und stand noch nie so eng zusammen wie im letzten halben Jahr. Dabei müsse man auch Verständnis für die langwierigen Debatten um Maßnahmenpakete haben, denn “Sanktionen müssten den Sanktionierten um ein vielfaches härter treffen als die Sanktionierenden”, ansonsten verfehlten sie ihre Wirkung. – Dann ginge es eben nur darum, wer den längeren Atem habe. 

Jetzt aber bekommt man die Auswirkungen in Russland bereits zu Gesicht: Experten rechnen mit einer Inflation von circa 17-18%, der Einbruch des russischen Wirtschaftswachstums wird zwischen 10 und 15% liegen. Aber auch auf anderer Ebene wird deutlich, was der Krieg mit den Menschen macht: Seit Beginn des Jahres ist der Konsum von Antidepressiva in der russischen jungen Generation enorm gestiegen. Zudem erlebe Russland aktuell den größten intellektuellen Aderlass seit der Oktoberrevolution: Journalisten, Künstler, viel wichtiger aber Ingenieure, Neuunternehmer und IT-Experten verlassen das Land, um sich anderweitig zu verwirklichen. Keine rosige Zukunft, aber, der Krieg malt keine Bilder mit rosafarbenen Bilder, sondern die Bilder sind roter und meistens keine Ölfarbe.

Dennoch bleibt Rüdiger von Fritsch zuversichtlich: Optimismus sei stets angebracht, denn wo Verständnis waltet, tun sich früher oder später auch immer Lösungen auf.

Worauf ich selber, grundoptimistisch erzogen, immer vertraut habe: Dass wir für die Probleme der Gegenwart, die wir sehr genau kennen, über die wir sehr gut klagen können, und für die wir keine Lösungen haben, morgen Lösungen gefunden haben und  finden werden, die wir uns heute noch nicht vorstellen können.”

Rüdiger Freiherr von Fritsch

Gedanken zum Abschluss des Club der Optimisten Brunch

Natürlich war beim anschließenden Get-together der Vortrag von Rüdiger von Fritsch das Hauptthema des Samstagnachmittags. Viele Optimisten erlebte man dabei im Gespräch sehr nachdenklich und differenziert in Betrachtung. Keiner machte es sich leicht. Doch ein genauer Blick auf die Wirklichkeit hilft Lösungen zu finden und die Realitäten zu meistern.

Vielleicht hilft es in die Geschichtsbücher zu schauen, obwohl sich Geschichte bekanntlich nicht wiederholt, ermöglicht sie die Grundstrukturen von geschichtlichen Prozessen zu erkennen. Für Putins Russland sieht es nicht unbedingt gut aus. Herrscher und Regierungen, die Kriege mit der Ziel eines totalen Siegs begonnen haben, waren nur in sehr seltenen Fällen erfolgreich. Oftmals haben diese begonnenen Kriege genau das Gegenteil von dem, was beabsichtigt war, als Folge gehabt. Allerdings, kurz- und mittelfristig sieht es nicht nach einer Ablösung von Putin aus. Sicher ist, der wohlig bequeme deutsche Sofa-Gesinnungspazifismus ist ein Auslaufmodell. Wünschen wir uns die Kraft, dass wir Lösungen entwickeln.