Wenn’s mal romantisch sein soll: Rachmaninow immer noch beste Wahl

Konzert Alexander YakovlevKonzert Alexander Yakovlev Foto: JERZY PRUSKI (hfr)

Alexander Yakovlev erstürmt mit Klassiker die Elbphilharmonie-

Wie verführt man eine attraktive Frau? Eine praktische Anleitung gibt es in dem Film-Klassiker „Das verflixte 7. Jahr“ aus dem Jahre 1955. Da hat der männliche Hauptdarsteller Tom Ewell Damenbesuch bei sich zuhause und steht vor dem Plattenregal. Zuerst zieht er eine Aufnahme von Ravel und danach eine von Debussy heraus, um jedoch beide als nicht geeignet für seine Mission an dem Abend wieder in den Schrank zu schieben. Der dritte Versuch ist dann aber ein Volltreffer, es ist Rachmaninows hyper-romantisches zweites Klavierkonzert. Die Scheibe wird aufgelegt und wenig später ist Marilyn Monroe ganz hin und hergerissen von den bezaubernden Klängen…

Genau diesen, nach wie vor funktionierenden, Effekt vollführte auf perfekte Art und Weise der russische Pianist Alexander Yakovlev in der Elbphilharmonie. Es ging bei diesem Konzert zwar nicht unbedingt darum, das vermeintlich schwache Geschlecht zu becircen. Der männliche Anteil des Publikums im ausverkauften Saal zeigte sich nämlich von diesem Meisterwerk und seiner gekonnten Interpretation ebenso stark angetan. Die überwältigend einleuchtende klassische Form und die lang gedehnten Melodien des Anfang des 20. Jahrhunderts komponierten Werks dringen in jedes Herz – egal, ob mit oder ohne Versuchungsabsichten. Mit der sich spielfreudig zeigenden Neuen Philharmonie Hamburg und dem ebenfalls bestens aufgelegten bulgarischen Dirigenten Dian Tchobanov hatte Yakovlev zudem kongeniale Partner an seiner Seite.  

Schon der Start macht klar, dass es sich um ein Klavierkonzert handelt, denn dieses Instrument beginnt solo mit acht Akkorden bevor das Orchester einsteigt. Die teils weit zu greifenden Akkorde meistert Yakovlev famos und beginnt damit seine Interpretation mit einer Demonstration seiner Spielkunst. Die folgenden wehmütigen Klänge des gesamten Klangkörpers im ersten Thema werden vom Piano meisterhaft flankiert, hypnotisch wirkende Momente der Zärtlichkeit sind da eingeschlossen. Yakovlev offenbart in seinem Spiel einen Ansatz zum Grüblerischen, die man wohl als die russische Note in seinem Vortrag titulieren könnte. Wie raffiniert Rachmaninow komponieren konnte, zeigt sich im zweiten Satz, wenn sich türmende Klavierfiguren wenig später in eleganter Aufarbeitung als Begleitung entpuppen. Hier zeigt sich auch die hervorragend eingespielte, intuitiv zu nennende Übereinstimmung Yakovlevs mit dem Dirigenten Tchobanov und dem Orchester. Eine edle Einfachheit dominiert hier und lässt den Satz exquisit erklingen. Als weitere wichtige Erfolgskomponente ist unbedingt das Instrument selber zu erwähnen. Der Shigeru Kawai-EX ist allen Erfordernissen dieser höchst anspruchsvollen Komposition nicht nur gewachsen, sondern trägt auch mit seinem majestätischen Klang beachtlich zur fabelhaften Gesamtwirkung bei. 

Im dritten Satz schließlich steuert das Klavierkonzert auf genau das zu, was man von einem Klavierkonzert von Rachmaninow erwartet: es wird immer virtuoser und virtuoser, bis es schließlich mit einem umwerfenden Höhepunkt endet. Hier werden Oktaven wie ein Feuerwerk in das erstaunt-bewundernd lauschende Auditorium gejagt und mit einem donnernden Ende besiegelt. Wenn man das Ganze etwas reißerisch beschreiben möchte, könnte man Yakovlevs Darbietung in diesem Finale auch als eine gekonnte pyrotechnische Kunst bezeichnen. Diese Rachmaninow-Komposition so aufwühlend spielen zu können ist nicht besonders vielen zeitgenössischen Pianisten gegönnt, Yakovlev muss nach diesem überzeugenden Auftritt, in einer der weltweit bedeutendsten Konzertsäle, unbedingt zu diesen gezählt werden. 

Der Tastenmeister lässt sich nach dem begeisternden Applaus zu zwei Zugaben überreden und zeigt noch einmal mit zwei Tschaikowsky-Werken – aus der „Nussknacker-Suite“ sowie „April“ aus „Die Jahreszeiten“ – sein überragendes Können. Auch hier ist Alexander Yakovlev voll in seinem Element, oder, um es vereinfacht auszudrücken: russische Komponisten scheinen russischen Pianisten sehr zu liegen (auch wenn sie derzeit im Exil in Montenegro leben). Die Klassik-Fans in der Elbphilharmonie feiern ihn wie im Rausch und wollen ihn kaum von der Bühne gehen lassen. Und wäre Marilyn Monroe im Saal gesessen, sie wäre vermutlich ähnlich dahingeschmolzen; ganz genau so wie in ihrem Hollywood-Streifen vor 70 Jahren, in dem ihr zum Dinner Rachmaninows zweites Klavierkonzert serviert wurde.

Pianist Alexander Yakovlev
Bereits am 31. Oktober ist der (im Exil lebende) russische Pianist Alexander Yakovlev wieder in Hamburg zu Gast. Diesmal wird er in der Laeiszhalle Bach’s Goldberg Variationen präsentieren. Foto Cetin Yaman

Ähnlich begeistert wie das Publikum war auch Anne-Sophie Desrez nach der fulminanten Aufführung, Markenbotschafterin von Shigeru Kawai: „Leidenschaft und Gefühl prägen das zweite Klavierkonzert in c-Moll, op. 18 von Sergej Rachmaninow. Und genau so wie Alexander Yakovlev dieses Werk spielt, mag ich es hören: zügig-temperamentvoll und klar. Er konnte das ganze Klangspektrum, das sich in dieser feinen Tonarchitektur befindet, aus dem Shigeru Kawai Flügel SK-EX herausholen. Unser Instrument hat wunderschön geklungen“. Nicht vergessen wollte sie aber auch die kunstvollen Darbietungen der weiteren Protagonisten des Abends: „Die Orchesterbegleitung von der Neue Philharmonie Hamburg unter der Leitung von Dian Tchobanov war einfach hervorragend.“

Yakovlev-Fans haben übrigens noch in diesem laufenden Monat Oktober eine weitere Chance, den Piano-Maestro zu bewundern. Am 31. Oktober spielt er bei seinem Solo-Konzert in der Laeizshalle die Goldberg Variationen von Johann Sebastian Bach.

Das Orchester der Neuen Philharmonie Hamburg und Yakovlev’s Pianokünste waren bei dieser Aufführung eine ideale Kombination. Foto: JERZY PRUSKI (hfr)

Das ist die Neue Philharmonie Hamburg

Die Neue Philharmonie Hamburg (NPH), die 2003 von dem Violinisten und Produzenten Tigran Mikaelyan gegründet wurde, feierte letztes Jahr ihr 20-jähriges Bestehen mit herausragenden Aufführungen der großen symphonischen Meisterwerke.

Das in Hamburg ansässige Orchester hat sich bei seinen Konzerten in den Hauptspielstätten Elbphilharmonie und Laeiszhalle über die Jahre eine beeindruckende Fangemeinde erspielt. Zudem tritt es regelmäßig in großen Sälen auf, darunter in der Berliner Philharmonie, im Leipziger Gewandhaus, der Alten Oper Frankfurt. In den vergangenen Jahren war die Neue Philharmonie Hamburg darüber hinaus auf ausgedehnten Tourneen rund um die Welt mit Stationen u. a. in Frankreich, Italien, Spanien, Schweden, Norwegen, Dänemark, China, Südkorea, Japan unterwegs. Die Neue Philharmonie Hamburg formiert sich aus freischaffenden Berufsmusikern aus aller Welt. Im künstlerischen Portfolio steht die sinfonische Musik von der Vorklassik bis zur Moderne im Vordergrund. Darüber hinaus tritt die Neue Philharmonie Hamburg in Kammerbesetzungen vorwiegend im Raum Norddeutschland auf. Mit Freude übernimmt das Orchester auch anspruchsvolle Chorbegleitungen wie beispielsweise das Requiem von Mozart im Jahr 2011 mit dem Nikolaichor Potsdam. 

Seit der Saison 2003/2004 arbeiten die Musiker immer wieder mit renommierten Gastdirigenten zusammen. Dazu zählen Roberto Seidel, Ernst Bartel, Ulrich Windfuhr und andere. Basis ihrer Aktivitäten bilden Konzerte in der Laeiszhalle Hamburg. Regelmäßige Tourneen führten die Neue Philharmonie Hamburg darüber hinaus nach Südkorea, Frankreich, Monaco, Italien, Spanien, Schweiz, Belgien und China. In Erinnerung bleiben u. a. vom Publikum gefeierte und von der Presse hochgelobte Auftritte in der Berliner Philharmonie, dem Gewandhaus Leipzig, dem Konzerthaus Berlin, dem Casino Basel oder der Kathedrale zu Nizza. 

Das ist der Dirigent Dian Tchobanov

Maestro Dian Tchobanov ist seit der Saison 2013/2014 Generalmusikdirektor der Staatsoper Plovdiv und seit 2024 Generalintendant. Er erwarb seinen Masterabschluss an der Staatlichen Musikakademie (Sofia) und an der Universität für darstellende Kunst und Musik in Wien in der Klasse von Prof. Uroš Lajović. Die Persönlichkeit des Dirigenten wurde von Sir Colin Davies (Dresden), Dresden und Fabio Luisi (Wien) und Ivan Fisher (Budapest) geprägt. Im Jahr 2021 wurde ihm der wissenschaftliche Titel „Doktor“ im Bereich Kunst verliehen.

Tchobanov wurde 2003 mit dem zweiten und dem Sonderpreis des „Lovro von Matačić“, des Internationalen Dirigentenwettbewerbs Zagreb, ausgezeichnet, außerdem bereits 1998 in Budapest Sonderpreis des österreichisch-ungarischen Dirigentenwettbewerbs. 2014 folgte der „Plovdiv“-Preis 2014 – der renommierteste Preis im Bereich der Künste in seiner Heimatstadt in Bulgarien. Wichtige Stationen seiner künstlerischen Laufbahn lauten: Hausdirigent der Kroatischen Nationaloper in Zagreb (2009 – 2022), Chefdirigent des Kroatischen Kammerorchesters (2012 – 2014), erster Dirigent des Sofia Philharmonic Orchestra (2004 – 2010), Chefdirigent der Staatsoper Stara Zagora (2007 – 2012) sowie Hausdirigent des Wiener Schloss Schönbrunn Orchesters (2004 – 2012).

Seit 2023 ist er Gastprofessor für Dirigieren an der Akademie für Musik, Tanz und Bildende Kunst „Prof. Asen Diamandiev“ – Plovdiv, Bulgarien und an der East China Normal University Shanghai 2010 – 2015. Sein Repertoire umfasst die Genres Symphonie, Kantate-Oratorium, Oper, Operette, Ballett und Kammermusik. Er dirigierte unter anderem bereits das Wiener Orchester, Prager Budapester Festivalorchester, Dohnanyi-Orchester, Budapester Konzertorchester und die Philharmonie Baden-Baden.

von Cetin Yaman