Schleswig-Holstein Musik Festival auch über ein Dutzend Mal in Hamburg
Nach der Schrumpfversion im Corona-Jahr 2020 (fast nur online) feierte das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) nun eine Eröffnung fast wie in früheren Auflagen. Einige Pandemie-Eindämmungsregeln wie Gesichtsmaske tragen bis zum Sitzplatz (bei Freiluftkonzerten gar nicht notwendig) und Anordnung der Bestuhlung im Schachbrettmuster mussten zwar noch hingenommen werden, doch die Freude, wieder ein Musikfestival live vor Publikum abhalten zu dürfen, war allen Beteiligten anzumerken. Das Entzücken darüber war bei Christian Kuhnt, Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals, so groß, dass er sogar die Vorpremiere am Samstag persönlich eröffnen wollte. Normalerweise tut er dies nur auf der eigentlichen Premiere am Sonntag, doch diese Gelegenheit wollte er sich nach der langen Durststrecke nicht entgehen lassen. Sogar ein Foto vom halbvollen – pandemie-bedingt halbvollen, also eigentlich ausverkauften – Saal erstellte er für seine Social Media-Accounts.
Eine Baustelle musste Kuhnt aber noch verkünden: Hélène Grimaud, die renommierte französische und in den USA lebende, Künstlerin im Solistenporträt des SHMF in diesem Jahr, konnte aufgrund der noch geltenden Reisebeschränkungen in die Vereinigten Staaten nicht wie geplant das Eröffnungskonzert bestreiten. Und auch alle anderen geplanten Konzerte mit ihr im Juli kann sie nicht wahrnehmen. Sie wird lediglich zwei Konzerte im August geben – eines davon am 20. August in der Elbphilharmonie in Hamburg.
Ein Abend voller musikalischer Magie: Lisiecki bestätigt sämtliche Vorschusslorbeeren
Musikalisch vermisste Madame Grimaud aber an den beiden Eröffnungskonzerten vermutlich kaum jemand – und damit soll keine Schmälerung der Klavierspielkünste der Pianistin von Weltrang angedeutet werden, sondern lediglich die außerordentliche Klasse ihres „Ersatzmanns“: des kanadischen Klangzauberers Jan Lisiecki. Mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Pablo Heras-Casado im Rücken geriet seine Interpretation von Beethovens drittem Klavierkonzert zu einer CD-reifen Aufnahme. Nachdem das Ensemble sich mit Franz Schuberts 3. Sinfonie (Schubert ist Schwerpunkt-Komponist des SHMF 2021) warm gespielt hatte, trat der 26-jährige Ausnahmemusiker an sein Instrument.
Lisiecki, der 2019 alle fünf Klavierkonzerte von Beethoven eingespielt hat, war hier natürlich voll in seinem Element. Mit glänzender Technik ausgestattet, verfügt er bereits in jungen Jahren über eine reife Musikalität, die sich in einer kraftvollen – und gleichzeitig sich natürlich gebenden – Spielweise äußert. Er ist ein großer Virtuose, protzt aber nicht damit, kann jede Phrase mit hoher Perfektion ausdrücken.
Das mozartesk Verspielte gehört wie so häufig bei Beethoven zwar dazu, Lisiecki packt diese aber gekonnt in einen etwas strengeren Mantel – der bei Beethoven genauso häufig dazu gehört – und konzentriert sich mehr auf die wesentliche musikalische Aussage der Komposition. Und diese ist gar nicht so einfach zu beschreiben. Zu weit war das Genie aus Bonn damals seinen Zeitgenossen voraus, es geht um die Übernahme formgestaltender Aufgaben durch das Soloinstrument Klavier.
Hinzu kommen, für die damalige Zeit leicht futuristisch anmutende, komplexe musikalische Gefühlswelten, die sich hier manifestieren: Euphorie, Melancholie und erneute Aufbruchstimmung. Das Rondo am Ende des zweiten Satzes ist mustergültig für Pianisten komponiert, die ihre Meisterschaft an ihrem Instrument demonstrieren wollen. Alles in allem, ein etwas über eine halbe Stunde dauerndes Werk, das für Jan Lisiecki ein ideales Forum zur Präsentation seiner Spielkunst darstellt. Dementsprechend imposant – und dies völlig zu recht – war der abschließende Applaus des SHMF-Premierenpublikums, nach der Zugabe – die Nocturne von Chopin – steigerte sich dieser sogar noch um einiges.
Creme de la Creme der Klassik in Norddeutschland
Das 36. Schleswig-Holstein Musik Festival geht noch bis zum 29. August und bietet große Dirigenten wie Alan Gilbert, Manfred Honeck, Paavo Järvi und Ton Koopman. Außerdem treten weltbekannte Solisten wie Anne-Sophie Mutter, Sol Gabetta, Fatma Said, Fazil Say, Ivo Pogorelich, Nigel Kennedy, Christian Gerhaher, Sergej Nakariakov, Xavier de Maistre und Rolando Villazón auf.
Das SHMF begrüßt des Weiteren Klangkörper wie das Kammerorchester Basel, die CAMERATA Salzburg, die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, die NDR Radiophilharmonie und die NDR Bigband. Das ist aber noch nicht alles, auch Musik im Crossover-Bereich ist dabei, die Grenze wird sogar einige Male überschritten: mag man beim Klezmer-Klarinettisten Giora Feidman noch einen Bezug zum Festival herstellen können, wird es für Hardcore-Klassik-Fans bei Liedermachern wie Wolfgang Ambros, Rainhard Fendrich und Konstantin Wecker oder Pop-Sänger Tom Jones sicher ziemlich schwer werden, etwas Klassisches darin zu finden.
Doch auch diese Barrierendurchbrüche werden von den regelmäßigen Besuchern des Musikfestivals im hohen Norden akzeptiert, zu einmalig ist das ganze Konzept mit seinen zahlreichen Open-Air-Konzerten – diesmal sogar über zwei Drittel an der frischen Luft.
Zwei neue überdachte, fest installierte Bühnen gibt es in diesem Jahr. Auf Gut Emkendorf steht eine Bühne für großes Orchester und auf dem Gelände von Schloss Gottorf in Schleswig eine Kammermusikbühne. Und: auf Basis des Stufenplans der schleswig-holsteinischen Landesregierung konnte das Festival Mitte Juni die bislang stark reduzierten Kapazitäten erweitern und 44.000 weitere Tickets freigeben.
180 Konzerte, fünf Musikfeste auf dem Lande, zwei Kindermusikfeste und ein Werftsommer werden in 79 Spielstätten an 51 Orten in Schleswig-Holstein, Hamburg, im Süden Dänemarks und im Norden von Niedersachsen veranstaltet. Der vom Stiftungsrat genehmigte Haushalt beläuft sich auf rund 10 Millionen Euro. Der Landeszuschuss beträgt in diesem Jahr 1,233 Millionen Euro.
Ganz neue Spielstätten für das Festival
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer Open-Air-Spielstätten, die inn 2021 SHMF-Premiere feiern. Darunter die idyllischen Geländeflächen der Güter Altfresenburg bei Bad Oldesloe, Haseldorf, Hasselburg und Pronstorf. Das Festival ist im Park von Schloss Ahrensburg, im Innenhof von Schloss Glücksburg sowie im Innenhof des Plöner Schlosses zu Gast.
Es errichtet Open-Air-Bühnen beim Feuerwehrmuseum in Norderstedt, im Wallmuseum von Oldenburg in Holstein und am „Kunstwerk Carlshütte“ der NordArt in Rendsburg-Büdelsdorf. Mit dem Weingut Waalem und dem Platz vor der Strandkorbhalle in Utersum feiern gleich zwei neue Spielstätten auf Föhr ihre SHMF-Premiere.
Spektakuläre Konzerterlebnisse versprechen erstmals die Trabrennbahn in Elmshorn, das Kieswerk in Warder, der Yachthafen des Kieler Yacht Clubs in Strande, sowie die Freilichtbühne in Lübeck. Das Festival zieht außerdem auch in diesem Sommer wieder mitten in die Städte Norddeutschlands – erstmals macht es auf dem Gemeindesportplatz in Rellingen, dem Bürgermeistergarten in Wilster und dem Hohenzollernpark in Schenefeld/Mittelholstein Halt.
Diese Veranstaltungen des SHMF 2021 sind noch in Hamburg:
Zwischenwelten – Lesung mit Christian Brückner und Hideyo Harada (Klavier)
Mittwoch, 4. August, um 17 Uhr und um 20 Uhr im Bucerius Kunst Forum
Festivalorchester pur!
Schleswig-Holstein Festival Orchestra – Andris Poga, Dirigent
Dienstag, 10. August, um 20 Uhr in der Elbphilharmonie
Fatma Said, Sopran – Malcolm Martineau, Klavier
Mittwoch, 11. August, um 19:30 Uhr, Elbphilharmonie
Kostbarkeiten
Anastasia Kobekina,Violoncello – ensemble reflektor – Holly Hyun Choe, Dirigentin
Dienstag, 17. August, um 20 Uhr, Elbphilharmonie
La Bohème – Puccini zu zweit – Mathieu van Bellen, Violine – Mathias Halvorsen, Klavier
Donnerstag, 19. August, um 19.30 Uhr, Elbphilharmonie
Spitzenklasse – Hélène Grimaud, Klavier – Tonhalle-Orchester Zürich – Paavo Järvi, Dirigent
Freitag, 20. August, um 20 Uhr, Elbphilharmonie
Ivo Pogorelich, Klavier
Montag, 30. August, um 20 Uhr, Elbphilharmonie
MIKIs Takeover! Ensemble – Milow, Gesang & Gitarre
Dienstag, 31. August, Elbphilharmonie
Sabine Meyer & Friends
Samstag, 4. September, Elbphilharmonie
Forellenquintett u.a.: Alice Sara Ott,Klavier – Benjamin Appl, Bariton
Sonntag, 5. September, um 11 Uhr, Elbphilharmonie
von Cyrh Rhida