Konzertkritik – Sons of Kemet: Say Hello, wave goodbye

Die Jazzband Sons of Kemet spielt in der Hamburger ElbphilharmonieHinterließen viel Bewunderung für ihren einmaligen Sound: Sons of Kemet. Foto: Sebastian Madej / Elbphilharmonie (hfr)

Die Jazz-Legenden Sons of Kemet spielten in der Elbphilharmonie und die Band hört auf.

Absolut hörenswert und leider das vorletzte Konzert der Band:

Was da an Klängen von der Bühne des Großen Saals der Elbhilharmonie hinüberströmt, weckt im ersten Augenblick Assoziationen an Hugo Strasser und sein Orchester aus den 60er und 70er Jahren, wenn sie mal ins Karibische hinüberschwenkten. Zugegeben, eine ziemlich hippe Version des Münchner Unterhaltungsensembles, aber auch bei Sons of Kemet verortet man sich selbst zunächst irgendwo auf einem Karneval. Rhythmus und beide Bläser (Shabaka Hutchings, Saxofon, und Theon Cross, Tuba), gehen in diese Richtung – doch dieser Eindruck täuscht, wie man bald feststellen wird.

Zwei Schlagzeuger (Edward Wakili-Hick, Tom Skinner) in einer Vier-Mann-Formation zu haben, das ist schon mal ein Ausrufezeichen, das beachtet werden will. Die beiden arbeiten sich spiralförmig hoch in den Liedern, vielmehr den ganzen Abend durch, denn nur selten legt das Rhtymus-Duo eine Pause ein. Auffallend auch, dass bei einigen Songs die Snare-Funktion des Snare-Drums deaktiviert wird. Der Effekt: durch den dumpfen Schlag wird das Ganze noch treibender und hypnotisierender.

Außergewöhnlich auch die Funktion der Tuba bei dem britischen Jazz-Quartett. Als tiefstes aller Blechblasinstrumente ist es naturgemäß eigentlich strikt für den Bass verantwortlich, doch das schert Cross von Sons of Kemet wenig, oft genug macht er Ausflüge in Melodie-Gefilde. Dann klingt die Band zeitweise wie Formationen aus dem Rockbereich: etwa wie die Postpunk-Band New Order oder The Stranglers, die ebenfalls ihren Bassisten die Melodie übernehmen ließen.

Das ist aber nicht der einzige Vergleich, der einem einfällt, als nächstes ploppt da einem im Kopf ein gewisser Hans Zimmer auf. Jener geniale Hans Zimmer, der für seine Soundtracks auch gerne Bass-Blechbläser – in seinem Fall vornehmlich Bass-Posaunen – für eine vor sich hin brodelnde Grundstimmung verwendet. Besonders prägnant ist dies bei seinem Batman-Soundtrack „Der dunkle Ritter“ zu vernehmen.

Und nicht zufälligerweise sieht man zu der gefährlichen Schunkeligkeit von Sounds of Kemet vor seinem geistigen Auge Joker in einer schlecht beleuchteten Gasse einem fröhlich entgegen marschieren. Die Pseudo-Heiterkeit des Klangbilds wird durch langgezogene, ultratiefe Töne mit knarzig-knackigen Intermezzi der Tuba konterkariert: man ahnt es, der Herr mit dem Clown-Make-up meint es höchstwahrscheinlich nicht so lustig wie er es mit seinem schwungvollen Gang aussehen lässt… Und, eigentlich bräuchte man das nicht zu erwähnen: die Tuba wird normalerweise aufgrund der Größe und Schwere des Instruments im Sitzen gespielt. Wie man sich denken kann, sieht das Bild bei Sons of Kemet anders aus: Sound-Kraftprotz Theon Cross hält seine Tuba das gesamte Konzert durch stehend fest in den Armen – auch eine Art von Krafttraining.

Diese Grundkonstellation – Rhythmus, Bass und Melodie bereits verteilt -, lässt Shabaka Hutchings, dem Gründer der Band, alle Freiheiten für seine Soli am Saxofon, inklusive instrumentaler Dialoge mit sich selbst. Diese Freiheiten nutzt er so extrem aus, dass man sich fragt, wo er denn eigentlich die Luft herbekommt für diese gefühlten 20-Minuten-nonstop-Solo-Passagen. Möglicherweise hat er als Mann mit Basketballer-Größe eine besonders lange Luftröhre oder so, man kommt jedenfalls aus dem Staunen nicht heraus. Etwa Mitte des Konzerts greift Hutchings zur Flöte und alle anderen verlassen die Bühne, das verlangt vom Spielenden nicht ganz so viel Luftdruck. Ebenso spart er sich auch seine Atemreserven ausschließlich für sein Instrument. Außer einem knappen „Hello“ am Anfang und einer Namensnennung der Bandmitglieder gibt es kein weiteres Wort zu hören. Die vier Jungs von der Insel lassen die Musik sprechen und das ist in Zeiten, in denen auf Bühnen Endlos-Gelaber in Mode gekommen zu sein scheint, ein wahrer Segen.

Stell dir vor, du schwebst…

Apropos Flöte: diese Einlage klingt ganz und gar nicht nach Jazz, sondern irgendwie nach Musik wie sie im Römischen Reich gehört wurde – im nordafrikanischen Teil davon. Archaisch, sanft und Stakkato-artig abwechselnd, entführt sie einen in längst vergangene Zeiten. Von Afrika kommt auch die Polyrhythmie und diese verwenden Sons of Kemet ausgiebig.

Und hier zeigt sich im Saal ein großes Missverständnis: zur Zugabe stehen einige Besucher auf und wollen dazu tanzen. Das ist einerseits verständlich, denn es klingt wie Tanzmusik. Ist es aber nicht. Das merken dann auch die Tanzwilligen und setzen sich bald wieder hin – und das liegt nicht an der zu sachlichen Räumlichkeit des Großen Saals der Elbphilharmonie, die irgendwie dafür nicht geeignet wäre, wie tags darauf ein Reporter einer Lokalzeitung monierte. Nein, diese Musik hat etwas anderes vor und Sons of Kemet machen daraus auch nicht mal ein Geheimnis, wie ein Songtitel auf ihrem vierten Album deutlich formuliert: „Envision yourself levitating“ („Stell dir vor, du schwebst“). Genau das ist es, was man zu dieser einzigartigen Musik mit treibend-verschachtelten Rhythmen und verspielt bis brachialen Blechbläsern tun können sollte: schweben, einfach nur davon schweben…

Ein hervorragendes Konzert, das leider aber auch das vorletzte der Band überhaupt bildete. Sons of Kemet haben sich aufgelöst und machen nun jeweils in anderen Projekten weiter. Ein Glück für Hamburg und die Elbphilharmonie, dass es noch einmal Gastgeber für solch fantastischen Musiker sein durfte.   

von Cetin Yaman