Konzertbericht: Durch Dornen zu den Sternen

Alexander Yakovlev geht zum Flügel...jetzt aber nochmal mit viel Schwung ans Arbeitsgerät! Alexander Yakovlev auf dem Weg zu seiner ersten Zugabe (Sonate Nr. 54 von Joseph Haydn). Foto: Cetin Yaman

Alexander Yakovlev auf dem Weg ins All mit den Goldberg-Variationen in der Laeiszhalle.

Zweimal hatte ich Alexander Yakovlev in diesem Jahr bereits in Hamburg gehört und als ich las, dass er Bachs Goldberg-Variationen in der Laeiszhalle spielen wird, wusste ich, dass es ein interessanter Abend werden wird. Mit der Vorahnung ausgestattet war ich offensichtlich nicht der einzige, was sich nämlich – trotz des schwierigen Termins an einem Feiertag – im sehr gut besuchten Saal bemerkbar machte. Der derzeit in Montenegro lebende Russe präsentierte sich ebenfalls voller Vorfreude: „In den Goldberg-Variationen zeigt Bach die maximale Vielfalt seiner polyphonen Meisterschaft. Ich kann es eine Enzyklopädie seiner musikalischen Sprache nennen. Natürlich stellt es für jeden Pianisten sehr hohe Anforderungen, aber es lohnt sich: werden diese überwunden, ist das Ergebnis einfach grandios”, sagte er dazu einige Tage vor seinem Konzert. Einige Musiktheoretiker vermuten, dass die zehn Kanons in den Goldberg-Variationen den Zehn Geboten entsprechen. So ähnlich sieht es auch Alexander Yakovlev, dieses Werk habe eine tiefe metaphysische religiöse Bedeutung, sagt er. “Aus dieser Perspektive lässt sich eine sehr tiefe und transzendente Vorstellung von Bachs Einstellung zur Entstehung eines solchen Tastenzyklus entwickeln”.

Alexander Yakovlev auf der Bühne
Hat sich in Hamburg bereits eine große Fan-Gemeinde erspielt: der russische Pianist Alexander Yakovlev. Foto: Cetin Yaman

Emotional, vital und mehrdimensional ausgerichtet – ein denkwürdiger Abend

Die Goldberg-Variationen haben unter Konzertpianisten den Ruf einer ganz besonderen Prüfung. Es heißt, beim Einstudieren dieser Komposition durchlaufe der Pianist mehrere Ebenen der Meisterschaft. Nach der Perfektion dieses Werks würde er buchstäblich alle Arten der Klaviertechnik beherrschen. Dies stand bei dem 42-jährigen Yakovlev ohnehin nicht zur Diskussion, dennoch lautete die große Frage: Wie interpretiert er die Goldberg-Variationen? Spartanisch-karg wie einst Glenn Gould oder doch etwas verspielter wie es neulich der chinesische Superstar Lang Lang auf seiner Aufnahme getan hat? Vorab sei schon eines gesagt: es war ein denkwürdiger Abend. Yakovlev demonstrierte an dem Abend die emotionale Vitalität der einzigartigen Schichten dieses Werks; das Genie Bachs und die mehrdimensionale Qualität des Stücks kamen voll zu ihrem Recht. Der Künstler selbst gab sich bescheiden: „Als Beispiel möchte ich den großen russischen Pianisten Swjatoslaw Richter nennen, der mit seiner Leistung nie zufrieden war und sich gerade dadurch verbesserte. Das Muster, das Motto, nach dem ein Künstler wachsen sollte, lautet: ‚Durch Dornen zu den Sternen‘ oder ‚Gradus ad Parnassum‘ “.

Nicht zu schnell und nicht zu langsam: Yakovlev macht es genau richtig

In der Eröffnungsarie drückten seine Finger sanft auf die Tasten und erzeugten einen sanft beschwingten Klang, der an perlende Wassertropfen erinnerte. In den Variationen mit hohem Tempo kam die Dramatik der Komposition an diesen Stellen angemessen zum Ausdruck. Yakovlev spielte die Goldberg-Variationen, indem er jede einzelne Note mit einem runden, reinen Klang verschmolz – der Shigeru Kawai-Flügel SK-7 half ihm dabei sehr. Wie schon eingangs erwähnt, kann ein so komplexes Stück Musik auf so manchen Klavierspieler auch einschüchternd und entmutigend wirken. Rhythmus und Metrum zu folgen ist keine einfache Sache in diesem Werk. Auch die Basslinien, farbenfrohen Verzierungen – wenn man sie denn farbenfroh spielen mag – und natürlich die perfekt ausgearbeiteten kontrapunktischen Stimmen müssen in ein harmonisches Ganzes hineinfließen. Aufpassen muss man ebenso, dass man am Ende  – wie zum Beispiel bei der Variation Nr. 25 – nicht zu langsam wird und das Gefüge darunter leidet. Auch bei den Trillern hat man schon einige Kollegen von Yakovlev gehört, die an der Stelle zu Übertreibungen neigen und das Demut und Bescheidenheit predigende philosophische Fundament dieses musikalischen Werks in Richtung kapriziöses Virtuosentum verlassen. Doch der sympathische Neu-Montenegriner hat echtes pianistisches Talent und weiß es richtig einzusetzen. Seine Phrasierungen sind kontrolliert und nuanciert; er ist präzise, aber nicht nur, wenn es dem Flow besser passt, dann setzt er die Prioritäten anders.

Alexander Yakovlev mit seinem Klavierstimmer
Ein gut gelauntes – und gut funktionierendes – Team: Pianist Alexander Yakovlev mit seinem. extra aus Montenegro mit angereisten, Klavierstimmer. Foto: Cetin Yaman

Durch Yakovlevs Adern fließt Musik, an diesem Abend bewies er das wieder sehr eindrucksvoll. Die Aufführung war beeindruckend und seine Leistung nicht minder als effektiv ohne Effekthascherei. Nach 50 Minuten war das Konzert vorbei, Yakovlev entschloss sich dazu, die von Bach vorgegebenen Wiederholungen nach jeder Variation nur bei den polyphonen Variationen vorzutragen und somit um einiges schneller damit “fertig” zu sein als so manch anderer Kollege, die bis hin zu allen Wiederholungen spielen. Der Wirkung hat es nicht geschadet; der kompakte, intensive Abend gefiel den Besuchern sehr, drei Zugaben musste der Meister noch geben.

Alexander Yakovlev mit Anne-Sophie Desrez am Shigeru Kawai Flügel
Anne-Sophie Desrez konnte mit der Aufführung mehr als zufrieden sein: „Unvergessliche Klangerlebnisse, Leidenschaft und Glücksmomente: dafür ist die Kombination Alexander Yakovlev und Shigeru Kawai ideal geeignet!“. Foto: Cetin Yaman und Foto: Cetin Yaman

Knapp 2,30 Meter großes Meisterstück aus Krefeld nach Hamburg transportiert

Glücklich zeigte sich auch Anne-Sophie Desrez, Markenbotschafterin von Shigeru Kawai: “Wir hatten unser Modell SK-7 (229 cm), extra aus Krefeld nach Hamburg transportiert. Bei seiner Interpretation der Goldberg-Variationen hat sich Alexander Yakovlev als feinsinniger Poet gezeigt. Unser Instrument war dafür optimal geeignet, um diese Magie der Farben zu vermitteln. Der Shigeru Kawai SK7 Konzertflügel ist ein Meisterwerk, das unvergessliche Klangerlebnisse, Leidenschaft und Glücksmomente schaffen kann – aber dazu muss schon ein virtuoser Pianist wie Alexander Yakovlev darauf spielen”.

Ein Genie mit Weitblick: Bach – 200 Jahrhunderte seiner Zeit voraus

Übrigens bietet das Einstudieren der Goldberg-Variationen für Alexander Yakovlev noch weitere Vorteile, wie er aufzählt: “Diese Komposition hilft mir, Musik anderer Komponisten zu spielen. In seinem Werk transzendierte Bach seinen Stil, seine Epoche und seine Zeit und nahm die Entstehung neuer Musikstile vorweg. Die Goldberg-Variationen sind eine Vorhersage der Entwicklung der Musikstile der nach ihm folgenden zwei Jahrhunderte. Es gibt darin die musikalische Betrachtungsweise von Brahms, Elemente der musikalischen Textur von Chopin und Liszt, natürlich auch von Mozart und Beethoven. Es gibt sogar Elemente der Klavierfraktur, die wir in der Musik von Prokofjew und Rachmaninow finden können.”

Yakovlev mag auch gern Cembalo spielen (und kann das ebenfalls hervorragend)

Der Abend war ein Konzert im Rahmen der Reihe Amabile Classic, gegründet von Tigran Mikaelyan. Shigeru Kawai und Amabile Classic kooperieren häufig auf Konzerten zusammen. „Die Arbeit mit Tigran Mikaelyan läuft immer hervorragend ab, mit ihm haben wir einen sehr kompetenten und zuverlässigen Kooperationspartner“, sagt Anne-Sophie Desrez, Markenbotschafterin von Shigeru Kawai Europa.

Diese Konzertagentur sorgt übrigens auch dafür, dass an diesem kommenden Samstag, 2. Dezember, Alexander Yakovlev wieder in der Laeiszhalle in Hamburg zu hören sein wird, allerdings in einer etwas ungewöhnlichen Rolle. Auf dem Festlichen Adventskonzert des Kammerorchesters der Neuen Philharmonie Hamburg ist er nicht nur als musizierendes Mitglied mit dabei, sondern diesmal sitzt der Maestro  überraschenderweise am Cembalo.

von Cetin Yaman