Goldberg-Variationen zum Zweiten:

Pianist Alexander Yakovlev mit Takayo Nishiyama (li.), Anne-Sophie Desrez, Markenbotschafterin Shigeru Kawai, und Konzertveranstalter Tigran Mikaelyan (2.v.li., Amabile Classic) waren hocherfreut über den Abend.Pianist Alexander Yakovlev wusste in der Laieszhalle erneut zu begeistern. Für den überragenden Klang seines Musikinstruments sorgte Klavierstimmerin Takayo Nishiyama (li.), Anne-Sophie Desrez, Markenbotschafterin Shigeru Kawai, und Konzertveranstalter Tigran Mikaelyan (2.v.li., Amabile Classic) waren hocherfreut über den Abend. Foto: Cetin Yaman

Alexander Yakovlev elektrisiert nach 2023 erneut viele Hamburger Musikfreunde

So wie es aussieht, leben wir in der Goldberg-Variationen-Epoche 2.0  Die Anzahl der CD-Einspielungen dieses Jahrtausend-Werks von Johann Sebastian Bach ist alleine in den letzten Jahren um Veröffentlichungen von Piano-Stars wie Lang Lang, Fazil Say oder Vikingur Olafsson und einigen anderen ständig gestiegen.

Es gibt so sogar eine Website, die sich nur mit Releases dieser Komposition des Eisenacher Genies beschäftigt, dort sind derzeit über 700 (!) Aufnahmen von den Goldberg-Variationen registriert, Tendenz: weiter nach oben… Wie will man da noch als Pianist mit einer Darbietung herausstechen? Wie Publikum in seine Konzerte mit diesem Programm locken, wo sich doch jeder bequem irgendeine andere Aufnahme in sein Wohnzimmer hinein streamen könnte? Nun, die Antwort hat drei Teile und diese lauten wie folgt: a) so ausgelatscht es klingen mag: „live ist live“, das Erlebnis eines Live-Konzerts ist niemals durch Abhören von Tonkonserven zuhause zu ersetzen, b) dem Spiel eines Meisters wie Alexander Yakovlev zuzusehen und seiner Interpretation zu lauschen ist ein Genuss für sich, und last, but not least: c) die exquisit-andächtige Atmosphäre, die der feine Klang des High-Tech-Flügels von Shigeru Kawai im Konzertsaal der Laeiszhalle verbreitet, gibt es eben auch nicht zuhause in den eigenen vier Wänden.

Nicht chirurgisch angehen – Yakovlev hat den richtigen Ansatz

Informationen und Trivia zu den Goldberg-Variationen gibt es im Netz nahezu unendlich viele, diese kann sich jeder selbst ergooglen, zudem sorgte in der Weihnachtszeit ein Bio-Pic über Bach in der ARD für zusätzliches Interesse – darum: gleich rein ins Vergnügen, hinein ins Konzert von Alexander Yakovlev. An gleicher Stelle vor exakt einem Jahr hatte der im Exil lebende russische Pianist übrigens ebenfalls die Goldberg-Variationen aufgeführt. In diesem überragenden Werk geht es um die Kunst des Kontrapunktes und noch in 1950er Jahren galt es als obskure Klavierkomposition eines ansonsten imposanten Meisters der Barockmusik, ehe dann das kanadische Piano-Genie Glenn Gould es mit seiner revolutionären Aufnahme in die Moderne hinein katapultierte. Und schon nach den ersten Anschlägen merkt man es an dem Abend in der Laeiszhalle: Alexander Yakovlev hat sich in diesen zwölf Monatennoch weiter in diese Komposition hinein vertieft, zu spüren ist eine klare Liebe zum Ausgangsmaterial. Er zeigt, dass die barocke Variationskunst ein Bereich ist, in dem er mehr als überzeugen kann. Es ist ein Werk mit Thema und Variation, das sehr vielfältig ist und einige schwindelerregende Notenstürme beinhaltet. Der Neu-Montegriner Yakovlev meistert diese mit erstaunlicher Kontrolle und sogar einer leicht tänzerischen Lebhaftigkeit, höchst förderlich ist ihm dabei sein Sinn für Dramatik. Eines der Ziele der Variationen ist ganz sicher die Erhellung der motivischen Facetten innerhalb des melodischen Komplexes des Arien-Themas, Yakovlev gelingt dieses Vorhaben vorzüglich. Die thematische Substanz mit sanften und reichen Verzierungen erfährt bei ihm eine poetische Behandlung, die sich mehr als hören lassen kann. Die Goldberg-Variationen haben genauer betrachtet etwas Chirurgisches an sich, die Bandbreite musikalischer Untersuchungen ist enorm, beinhaltet aber die Gefahr, dass der Interpret sich zu sehr auf die technische Meisterung dieser Aufgaben stürzt und dabei das Tiefgründige vernachlässigt. Dieses Risiko gibt es bei Yakovlev nicht, er scheint sich ebenso mit dem philosophischen Aspekt dieses Werks beschäftigt zu haben. Seine Interpretation wahrt stets den majestätischen Charakter und elektrisiert den nahezu ausverkauften Saal, nicht zu unterschätzen ist dabei das vorzügliche Instrument, auf dem er sein Konzert vorträgt, ein Shigeru Kawai SK-7. Das Publikum ist tief berührt und begeistert zugleich und lässt den Meister erst nach vier Zugaben von der Bühne gehen. Ein famoser Abend, der nach einer Wiederholung in 2025 schreit.

Let’s talk – Maestro Alexander Yakovlev im Gespräch mit ganz-hamburg

Nach dem umjubelten Auftritt unterhielten wir uns mit dem sympathischen Pianisten, der sich inzwischen in Hamburg dank seines enormen Talents eine ziemlich große Fangemeinde erspielen konnte. Zu uns gesellte sich im Laufe des Gesprächs Anne-Sophie Desrez, Markenbotschafterin von Shigeru Kawai.

gh: Herr Yakovlev, vor genau einem Jahr haben Sie die Goldberg-Variationen in Hamburg zum ersten Mal aufgeführt. Welche Erfahrungen aus diesem ersten Konzert waren für Sie bei der Planung der Aufführung 2024 – exakt zum selben Datum übrigens – am wichtigsten?

AY: Bei einem so monumentalen Werk wie Bachs Goldberg-Variationen ist es unerlässlich, den Aufführungsstil nahe am authentischen Klang zu halten. Bach war ein ausgezeichneter Organist und Komponist und er sah in diesem Werk eine enorme Genre- und Klangfarbenvielfalt vor. Das Wichtigste dabei ist, es zu schaffen, die Aufmerksamkeit des Zuhörers die ganze Zeit fokussiert zu lassen, damit es zumindest nicht langweilig wird und im besten Fall die authentische Interpretation auch wahrgenommen wird.

gh: Sie gehören noch immer zu den Pianisten, die die Goldberg-Variationen am schnellsten durchspielen. Die meisten „quälen“ sich in 60 bis 70 Minuten durch, Lang Lang präsentiert sie auf seiner CD mit einer Länge von knapp 1 ½ Stunden. Sie waren bei ihrem Auftritt nach knapp 50 Minuten fertig. Was für ein Konzept steckt dahinter?

AY: Bach hat wenige Anmerkungen und Nuancen hinterlassen, die angeben, wie das Stück klingen soll. In dieser Hinsicht gibt es eine große Anzahl von Interpretationen, die als richtig interpretiert werden können, aber sie können rein persönlich sein. Es hängt alles von einem Verständnis des Stils und der Tiefe des Eintauchens in die Absicht des Komponisten ab, was vor allem Erfahrung ist. Wir wissen, wie sich Glenn Gould’s Interpretationen von seinen frühen Aufnahmen zu seinen späteren Studioaufnahmen verändert haben. Letztere näherten sich zeitlich 50 Minuten. Wenn man alle Wiederholungen in jeder Variation spielt, erhöht sich die Zeit leicht auf 70 bis über 80 Minuten. Wenn man alle Wiederholungen eliminiert, kann man die Aufmerksamkeit des Publikums im Saal auf sich ziehen und es zu maximaler Konzentration bringen. Ich verwende das Fünfzig-Minuten-Format, bei dem Wiederholungen nur in polyphonen Variationen verwendet werden, was meiner Meinung nach ideal für Konzertaufführungen ist.

Musikinstrument eine Nummer größer als im Vorjahr – hilfreich?


gh: Der Flügel dieses Mal von Shigeru Kawai war eine Nummer größer als im letzten Jahr, und Sie durften diesmal auf einem SK-7 spielen. Wie sehr hat Sie das als Pianist im Vorfeld bei der Konzeption Ihres Auftritts beeinflusst? Und wie zufrieden waren Sie insgesamt mit dem gewählten Instrument? Was waren für mich die besonderen Stärken des SK-7? Bietet dieser Flügel für Sie als Pianist Vorteile, insbesondere bei den Goldberg-Variationen? Wenn ja, welche sind das?

AY: Dieser Shigeru Kawai-Flügel hat mir geholfen, der Intention des Stücks, das ich spiele, so nahe wie möglich zu kommen. Die Mechanik des Klaviers ist so perfekt, dass ich nicht darüber nachdenken muss, technische Schwierigkeiten in verschiedenen Klaviertexturen zu lösen. Das ist das Hauptmerkmal und die Haupteigenschaft dieses Instruments. Beispielsweise wurden die Variationen, bei denen sich die Hände kreuzen, für das zweimanualige Cembalo geschrieben. Auf einem modernen Instrument gibt es bestimmte Arten von Schwierigkeiten, wenn sich die Hände zu kreuzen beginnen; die linke Hand nach oben und die rechte nach unten geht. Und selbst in diesen Momenten ermöglicht die Mechanik des Shigeru Kawai-Flügels, sich so weit wie möglich auf die künstlerische Aufgabe zu konzentrieren: Musik zu machen, anstatt über die Schwierigkeiten nachzudenken. Letztes Jahr spielte ich den SK-6, dieses Jahr den SK-7, meiner Meinung nach ausgewogenere Mechanik mit einem sehr reichen, schönen Klang.

gh: Fragen wir doch bei der Gelegenheit auch gleich Anne-Sophie Desrez, Markenbotschafterin von Shigeru Kawai, dazu. Der Flügel von Shigeru Kawai war wie gesagt eine Nummer größer als der vom letzten Jahr, wie kam diese Entscheidung zustande? Hat er sich diese höhere Klasse durch seine gesteigerte Popularität in Hamburg nun „verdient“?

ASD: Ich habe es Alexander Yakovlev empfohlen, sein Programm auf unserem Shigeru Kawai SK-7 (229cm) zu spielen. Das Modell SK-7 ist für diesen Konzertsaal besser geeignet. Der Shigeru Kawai SK-7 klingt voller.

gh: Und wie zufrieden Sie nun insgesamt mit dem SK-7? Hat er sich gut gemacht, hat der Klang Ihren Erwartungen? Barockmusik klingt nicht auf jedem Flügel brillant, wie ist Ihre Einschätzung in diesem Fall?

ASD: Der wunderschöne Klang des Shigeru Kawai SK-7 beim Konzert hat mich in dieser Entscheidung nur bestärkt. Der Shigeru Kawai SK-7 ist ein Kunstwerk, das in den Händen eines virtuosen Pianisten unvergessliche Klangerlebnisse schafft. Der Klang eines Shigeru Kawai SK-7 ist voller Nuancen und Facetten, von sanften und zarten Tönen bis hin zu lebhaften und dynamischen Klängen. Die Tonqualität ist klar, ausgewogen.

Orgelklänge inklusive – ein Problem?


gh: Alexander, die Goldberg-Variationen enthalten auch einige Orgelklänge. Wie ist das für einen Pianisten des 21. Jahrhunderts? Sind diese Klänge kein Problem für ein modernes High-Tech-Klavier?

AY: Bach beabsichtigte in den Goldberg-Variationen, die Klangfarben und Bilder verschiedener Instrumente zu verwenden, darunter auch der Orgel. Bevor ich die Variationen in der Laeiszhalle aufführte, hatte ich das Glück, sie auf einigen alten Instrumenten zu spielen, und diese Erfahrung hat sich ausgezahlt. Ich versuchte, mein Klavierspiel so nah wie möglich an den Klang dieser Instrumente heranzubringen, und dies war dank des Shigeru Kawai-Flügels möglich.

ASD: Bach war einer der besten Organisten seiner Zeit. Am Klavier spielt man natürlich mit viel mehr Gewicht. Man muss das anpassen – und natürlich braucht man dazu auch  einen so exzellenten Musiker wie Alexander Yakovlev, damit dies gelingt.

Den speziellen Spirit erfassen – man muss wissen, was Bach mit der Musik wollte

gh: Alle Pianisten, die sich mit den Goldberg-Variationen auseinandersetzen, schwärmen von dem besonderen Geist, der aus diesem musikalischen Geniestreich spricht. Diese Frage hatte ich auch Ihnen vor einem Jahr gestellt. Hat sich diese Meinung durch Ihre weitere aktive Beschäftigung mit dieser Komposition Ihre Aufführungen geändert? Welcher Geist spricht nun zu Ihnen aus den Goldberg-Variationen?

AY: Diese Musik wurde von einem sehr religiösen Komponisten geschrieben. Bach war der Leiter des Kirchenchors und begann jeden Morgen mit einem Orgelunterricht in der örtlichen Kirche. In den Goldberg-Variationen ist spirituelle Symbolik so weit wie möglich vorhanden, die gesamte Musik ist tief vom Glauben an Gott durchdrungen. Und das ist das Erste, was man bei der Aufführung dieser Musik berücksichtigen muss. Es ist unmöglich, diese Variationen aufzuführen, ohne zu verstehen, was der Komponist meinte.

gh: Bachs Goldberg-Variationen sind eines der wichtigsten und komplexesten Werke, die jemals für das Tasteninstrument geschrieben wurden. Aber auch der richtige stilistische Ansatz ist für die Aufführung eines barocken Musikstücks sehr wichtig. Hatten Sie bereits Erfahrungen damit oder mussten Sie das erst lernen? Und ist dieser Ansatz etwas, das kontinuierlich gelernt werden muss?

AY: Die Aufführung eines so komplexen Barockwerks wie der Goldberg-Variationen erfordert ein langjähriges, intensives Studium des Materials. Man muss die Besonderheiten der Barockmusik verstehen, die Bach für das Klavier geschrieben hat. Bei einem modernen Instrument werden Pedale verwendet, um den Klang zu bereichern und zu kolorieren. Zu Bachs Zeiten gab es kein Pedal als solches, aber ich glaube nicht, dass es richtig ist, diese Musik überhaupt ohne Pedal aufzuführen. Ich achte darauf, das Pedal in den Variationen zu verwenden, für die der Klang der Orgel, der Blasinstrumente oder des Chors das Vorbild ist.

Hamburg eine sichere Bank für Alexander Yakovlev

gh: Das Konzert 2023 war schon sehr gut besucht, dieses Jahr war es jedoch fast ausverkauft. Ihre Fangemeinde in Hamburg scheint stetig zu wachsen. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg? Hat das auch etwas mit Ihren ständigen Aktivitäten in den sozialen Medien zu tun, wo Sie eine hohe Zahl an Followern haben?

AY: Es war auch für mich eine große Überraschung, dass das Hamburger Publikum von meiner Wiederholung der Goldberg-Variationen in der Laeiszhalle so begeistert war. Ich denke, das Geheimnis liegt vor allem in der Herangehensweise des Interpreten an die Interpretation des Werks; darin, ihm bei der Arbeit an der Stilistik und der Tiefe des Bildverständnisses zuzusehen. Ich freue mich, dass das Publikum, das zum zweiten Mal gekommen ist, sicherlich großes Interesse daran hatte, es noch einmal zu hören.

ASD: Das Konzert war tatsächlich sehr gut besucht und wie Sie sagen, nahezu ausverkauft. Neben der hervorragenden Reputation von Alexander Yakovlev als Musiker gibt es noch ein paar weitere Gründe für den großen Erfolg. Zuerst wurde das Konzert professionell beworben, dabei wurden verschiedene Kanäle benutzt. (Social Media, Newsletter, Flyer usw.). Außerdem gibt es eine große Deutsch-Russische Gemeinschaft in Hamburg. Der Veranstalter Tigran Mikaelyan von Amabile Classic ist in Hamburg sehr gut vernetzt und hat alle potentiellen Besucher über dieses Konzert rechtzeitig informiert.

2025: Same procedure as every year?

gh: Blicken wir voraus auf 2025: Wird es am 31. Oktober eine Neuaufführung von Alexander Jakowlews Goldberg-Variationen in der Laeiszhalle in Hamburg geben? Natürlich wieder erneut auf einem Luxusflügel der Marke Shigeru Kawai?

ASD: Dafür ist es noch zu früh, um eine verbindliche Aussage zu machen, es wird sich nächstes Jahr entscheiden. Wir werden aber bei dem Modell SK-7 bleiben. Dieses Modell ist perfekt für das Programm und den kleineren Saal der Laeiszhalle geeignet.

AY: Ich weiß nicht, ob ich die Goldberg-Variationen noch einmal in Hamburg aufführen werde, vielleicht etwas ebenso Monumentales wie das Wohltemperierte Klavier oder Die Kunst der Fuge (beides ebenfalls von Bach – die Red.). Die Zeit wird es zeigen. Ich arbeite jedenfalls an diesen Werken und möchte sie in Zukunft in mein Repertoire aufnehmen.

Gh: Da sind wir erstens sehr gespannt darauf und zweitens absolut sicher, dass sie auch diese Kompositionen meisterhaft bewältigen werden. Wir danken Ihnen beiden für dieses höchst interessante und aufschlussreiche Gespräch.

von Cetin Yaman