Michelle Candotti brilliert auf Chopin Festival Hamburg 2024 im MK&G
Michelle Candotti, Konzertexamen-Studentin aus der Klavierklasse von Prof. Hubert Rutkowski an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, gewann kürzlich den Zweiten sowie den Sonderpreis beim XII. Verona International Piano Competition in Italien. Diese Auszeichnung für die junge Italienerin (es gibt noch mehr, siehe weiter unten in der Biografie) kommt nicht von ungefähr, denn sie gilt als ein Ausnahmetalent ihrer Generation und stellte dies neulich wieder eindrucksvoll auf dem Abschlusskonzert des Chopin Festivals unter Beweis. Und in diesem Fall gilt das Kompliment doppelt, denn die 28-Jährige zeigte ihr Können auf gleich zwei sehr unterschiedlichen Instrumenten. Getreu des Konzepts des Festivals wurde nämlich zuerst auf einem historischen Flügel, in diesem Fall einem der Marke Pleyel, Paris, aus dem Jahre 1847, und danach auf einem modernen Flügel der Premium-Marke Shigeru Kawai, Hamamatsu/Japan 2019, musiziert. Aufführungsstätte war der bestens zur Stimmung passende Saal mit den historischen Musikinstrumenten im Museum MK&G in Hamburg.
Den Start bildet die Sonate Nr. 26 Es-Dur Op. 81a „Les Adieux“ von Ludwig van Beethoven und es ist natürlich klar, dass ein 177 Jahre altes Instrument wie der von dem Klavierbauer Pleyel in Sachen Klangvolumen nicht mit einem Hightech-Flügel aus dem 21. Jahrhundert mithalten kann. Doch so darf man das nicht sehen, denn auch der Komponist selber hatte annähernd in dieser Zeit der Entstehung des Pleyel-Klaviers gelebt (Beethoven starb 20 Jahre davor) und dementsprechend bei der Kreation seines Musikwerks selber diese historische Klangwelt im Ohr. Für eine Pianistin der Jetztzeit ist es jedoch allemal eine Herausforderung, die – das sei gleich schon gesagt – Michelle Candotti mit Bravour meisterte. „Extrovertierte, dennoch intime Visionen“ hieß das Motto dieses Klavierabends und genau dies mit dem Museumsinstrument realisieren zu können, ist wahrlich nicht ganz so einfach. Inhaltlich geht es in der Komposition von Beethoven um Abschied, Abwesenheit und Wiederkehr.
Anfangs sei die Bemerkung erlaubt, dass es schon einen gewissen Witz beinhaltet, sein Konzert mit einer „Abschiedssonate“ zu beginnen, doch es gibt eine „Wiederkehr“ in diesem Werk. Die Besucher im ausverkauften Saal durften also die Aufführung mit der sicheren Kenntnis, dass der Abschied nur vorübergehend zu verstehen ist, genießen. Michelle Candotti ist eine äußerst begabte Musikerin mit ausgeprägter musikalischer Vorstellungskraft und verfügt schon in jungen Jahren einer nahezu makellosen Technik. Ihre scheinbar mühelose Art, Klavier zu spielen, steht dabei auch nicht im Widerspruch zu den inneren Konflikten und Spannungen von „Les Adieux“. Wie man weiß, sind diese Gefühlswelten eine Spezialität von Beethoven, aber in seinen Sonaten lösen sich diese irgendwann auf. Die Reise dahin kann bei ihm jedoch kathartische Züge annehmen, das erfordert vom Interpreten ein gewaltiges Einfühlungs- und Leidensvermögen. Candotti bekommt das auch auf dem Instrument vom 19. Jahrhundert sehr überzeugend hin. Auch die darauf folgende Barcarolle Op. 60 Fis-Dur und Polonaise Op. 44 fis-Moll von Frédéric Chopin zeigen die Pianistin aus Livorno in der Toskana in Hochform.
Direkt nach der Pause geht es mit einem modernen Flügel, einem Shigeru Kawai, weiter. Dass der Start in die zweite Hälfte ebenfalls mit Kompositionen von Frédéric Chopin erfolgt, erweist sich als sehr gute Idee der Organisatoren. So hat man noch den Klang des historischen Flügels vom ersten Teil im Ohr und kann dies mit den nun dargebotenen Soundwelten des gleichen Tonkünstlers vergleichen. Der satte Klang des modernen Flügels ist das erste, das einem auffällt und dem Gehörten eine innige und emotionale Aura verleiht. Dieser Effekt, der bereits bei Chopin deutlich wurde, wird an den darauf folgenden Kompositionen von Franz Liszt noch verstärkt. Die Paraphrase de concert sur Ernani de Verdi S.432 in E-Dur und Auszüge aus den Années de pèlerinage II S.161 sind bestens dazu geeignet, ein modernes Instrument zu 100% ausreizen zu können. Die Opern von Verdi bieten viel Material für musikalische Fantasien, und die Paraphrases de concert über Ernani, Il Trovatore und Rigoletto gehören zu Liszts gelungensten Werken. Das Kunststück, das Liszt dabei gelingt, ist die volle Ausnutzung der Eigenheiten des Klaviers, aber dabei doch die Grundzüge des Originals beizubehalten. Liszt, wie Liszt nun mal ist, schickt gleichzeitig die teuflischsten Passagen um die Melodie herum und verleiht der Musik echte Poesie und Dramatik. Die Virtuosität, die diese Stücke erfordern – inklusive diverser Oktavstürme! -, wird von der Pianistin Candotti bestens geliefert, die sie mit wahrhaft romantischer Hingabe ausstattet. Zugaben mit Werken Chopin und Rachmaninow beenden einen schönen Klavierabend mit einer hochtalentierten Musikerin, die vom Publikum stark gefeiert wird.
Anne-Sophie Desrez, Markenbotschafterin von Shigeru Kawai, konnte sich der Meinung des Publikums nur anschließen:
„Michelle Candotti hat unseren Flügel wahrhaft singen lassen. Es war ein wirklich umwerfender Auftritt, der alle im Saal zutiefst beeindruckt hat, diese Stimmung war deutlich zu spüren“. Auch ihr als Sponsor zur Verfügung gestelltes Instrument wurde von ihr natürlich gelobt: „Das Shigeru Kawai-Klavier basiert auf den besten Klavierbautechniken der Welt. Es liefert den ultimativen Klang, einen Klang, der nur durch rigorose Anstrengung und das Überwinden zahlloser Herausforderungen von unserer Entwicklungsabteilung erreicht werden konnte. Das wissen wir als Hersteller bereits sehr genau, wir brauchen aber natürlich auch Musiker, die das alles, was im Instrument steckt, voll herausholen zu können. Und von Michelle Candotti kann ich das in jeder Form bestätigen. Sie hat für uns von Shigeru Kawai heute Abend die allerbeste Werbung für unsere Flügel gemacht, es war ein superber Auftritt“.
Interview mit Intendant Prof. Rutkowski
Abschließend unterhielt sich ganz-hamburg sich mit dem Intendanten Prof. Hubert Rutkowski über die diesjährige Ausgabe des Chopin Festivals:
gh: Herr Professor Rutkowski, wie lautet Ihr Fazit für das Festival? Fangen wir doch zuerst mit dem Abschlusskonzert an. War es das von Ihnen gewünschte Highlight zum Schluss?
Prof. Rutkowski: Oh ja, meine Erwartungen an das Abschlusskonzert von Michelle Candotti wurden absolut erfüllt und ich bin sehr glücklich, dass sie heute hier gespielt hat. Michelle ist eine Studierende von mir hier an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater. Sie hat ein vielseitiges Programm gezeigt, mit Liszt eine virtuose Seite präsentiert, aber auch anhand der Werke von Chopin und Beethoven eine gewisse Tiefe hineingebracht. Und das Besondere dabei war natürlich, dass sie im ersten Teil auf einem historischen Pleyel-Flügel aus dem Jahre 1847 gespielt hat. Das war auch für sie eine neue Erfahrung, sie hat das erste Mal auf so einem Instrument ihr Talent dargeboten. Und im zweiten Teil auf einem modernen Shigeru Kawai. Außerdem bin ich sehr erfreut darüber, dass das Konzert unglaublich gut besucht war und der Schlussapplaus für Michelle dementsprechend sehr groß und vollkommen berechtigt.
gh: Und Ihr Gesamtfazit zum Chopin Festival 2024?
Prof. Rutkowski: Man kann es ohne Übertreibung so ausdrücken: jedes Konzert war ein Highlight und auf einem unglaublich hohen Niveau. Die Pianisten hatten alle komplett unterschiedliche Profile und wir hatten für jedes Konzert ein eigenes Thema konzipiert. Heute Abend beispielsweise lief unter dem Titel „Extrovertiert, aber dennoch intime Visionen“. Einen Tag zuvor hatten wir Alexander Schimpf mit „Stilistische Konfrontationen“, der Skrjabin, Chopin, Schubert und Beethoven aufgeführt hat. Das war sehr interessant aufgebaut, da man als Zuhörer mitbekam, wie sich die Stücke miteinander verbunden haben. Davor hatten wir zum zweiten Mal auf Chopin Festivals einen Abend mit internationalen, jungen Talenten. Das lief unter „Mysteriöse Klänge“ mit einem Clavichord und fand auf dem Schiff „Solte Deern“ statt. Dann hatten wir noch „Charakteristische Expressionen auf drei Flügeln“ mit Dmitry Ablogin. Das waren sozusagen drei unterschiedliche Klangplaneten, auf denen die Musik präsentiert wurde. Nicht vergessen will ich aber auch den Stummfilm-Abend mit einem Film über Frédéric Chopin und der famosen Piano-Begleitung von Tobias Koch. Darum bin ich insgesamt sehr froh, dass alles so wunderbar funktioniert hat und dass es auch vom Publikum so gut angenommen wurde.
Gh: Wenn wir uns die mehrjährige Entwicklung betrachten, geht sie dahin, wo Sie das Chopin Festival haben wollen?
Prof. Rutkowski: Ja, in jedem Fall, wir bleiben uns treu und entwickeln ständig innovative Konzert-Formate. Diese stehen unter dem Motto „Träume der Vergangenheit und der Sound der Moderne“ und das verfolgen wir seit unserem ersten Chopin Festival 2008. Diese künstlerischen Inhalte sind uns sehr wichtig, denn wir sind kein Mainstream-Festival und brauchen darum uch keine Superstar-Namen. Wir brauchen Musiker, die spezielle Ideen und Konzepte mitbringen, denn auch die Veranstaltungsorte sind speziell mit ihren intimen Atmosphären, wie eben zum Beispiel hier der Saal im MK&G mit den historischen Musikinstrumenten. Hier gibt es keine harte Grenze zwischen Künstler und Publikum, hier haben wir so ein bisschen eine private häusliche Atmosphäre. Das ist unser Konzept und das wird auch so bleiben. Letztes Jahr hatten wir unser Abschlusskonzert im Kleinen Saal der Elbphilharmonie, aber das war eine Ausnahme. Das Konzept wird genau so bleiben wie es von Anfang an gewesen ist.
Gh: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg mit Ihren einmaligen Klavier-Festivals!
Das ist die Pianistin Michelle Candotti
Michelle Candotti ist Gewinnerin vieler wichtiger Wettbewerbe. Zu ihren Erfolgen gehört der 2. Preis beim Internationalen Klavierkonzertwettbewerb in Hastings. Kürzlich war Michelle Halbfinalistin beim 18. Internationalen Chopin-Wettbewerb (Warschau), Preisträgerin beim 5. Maj-Lind-Wettbewerb (Helsinki), gewann den 2. Preis beim Deutschen Pianistenpreis (2022), den 3. Preis und Publikumspreis beim XVII. Internationalen Wettbewerb Grand Prix Animato (Paris) und war Gewinnerin des Elise Meyer Wettbewerbs Hamburg (2024). Michelle studiert derzeit bei Prof. Carlo Palese und ist im Konzertexamen an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg bei Prof. Hubert Rutkowski.
Das ist das Chopin Festival Hamburg
Als einziges Festival in Deutschland legt das Chopin Festival Hamburg seinen künstlerischen Fokus auf die Gegenüberstellung der Klangwelten moderner und historischer Tasteninstrumente und ermöglicht damit außergewöhnliche Konzert- und Hörerlebnisse. Die Konzerte fanden erneut im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg statt, das die in seiner Sammlung befindlichen restaurierten Flügel aus der Zeit Frédéric Chopins zur Verfügung stellt. Mit dem Festival will die Veranstalterin, die Chopin-Gesellschaft Hamburg & Sachsenwald e.V., dazu beitragen, mit herausragenden Künstlern die vielfältigen Klangmöglichkeiten historischer Aufführungspraxis in der Klaviermusik weiter bekannt zu machen.
Im Zentrum des Festivals standen 2024 vier Klavierabende mit Shigeru Kawai im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg, dabei traten brillante Pianisten – allesamt Gewinner bedeutender Klavierwettbewerbe – auf. Die bereits weiter oben im Text ausführlich vorgestellte Michelle Candotti, Dmitry Ablogin, Jakub Kuszlik und Alexander Schimpf. Sie ließen auf einem Shigeru Kawai (2019) mit seinen modernen Möglichkeiten den Kontrast zu den Instrumenten des 19. Jahrhunderts erklingen. Hinzu kommen noch Meisterkurse für Studierende der Hochschule für Musik und Theater Hamburg mit Prof. Ewa Kupiec (HMTM Hannover).
von Cetin Yaman