Pianistin Sejung Choi, die jetzt in Hamburg lebt, steht auf deutsche Romantik.
Hallo Sejung, lass uns doch gleich am Anfang deinen genauen Status klären. Du gibst Konzerte, aber auch gleichzeitig Klavierunterricht. Und deine Klavierschule befindet sich direkt in der Geschäftsstelle von KAWAI Hamburg im Stadtteil Eimsbüttel. Wie ist denn da die genaue Konstellation? Bist du bei KAWAI fest angestellt?
Nein, viele nehmen an, dass ich da angestellt wäre, jedoch leite ich die KAWAI Klavierschule eigenständig und pflege lediglich eine Kooperation mit KAWAI. Diese Klavierschule wird von mir persönlich geführt, was zu einer beidseitigen Synergie zwischen KAWAI Hamburg und mir führt. Die Zusammenarbeit mit dem japanischen Instrumentenhersteller bereitet mir viel Freude.
Macht dir der Beruf als Klavierlehrerin Spaß oder ist das mehr oder weniger ein notwendiges Übel, das dir hilft dein eigentliches Ziel, eine Karriere als Konzertpianistin, zu unterstützen?
Da ich gleichzeitig Konzerte gebe und Klavierunterricht erteile, wäre es wohl passender, mich als Pianistin statt als Konzertpianistin zu bezeichnen. Der Klavierunterricht mit meinen Schülern bereitet mir viel Freude. Kürzlich gewann ein besonders talentierter Schüler – Martin Walenda – einen Klavierwettbewerb und wird im März 2024 in der Laeiszhalle auftreten – eine aufregende und stolze Erfahrung.
Seit wann lebst du eigentlich in Hamburg? Wie schnell konntest du dich hier akklimatisieren?
Ich kam 2006 nach Hamburg und bin immer noch dabei, mich anzupassen. Deutsch ist eine sehr schwierige Sprache.
Würdest du sagen, dass Hamburg für Musikerinnen wie dich eine sehr gute Stadt ist?
Hamburger sind fleißig und arbeiten hart. Andererseits sind sie gelassen und lieben Musik. Dies gibt Musikern wichtige Energie und bietet bedeutende Möglichkeiten für musikalische Aktivitäten. Darüber hinaus ist die Elbphilharmonie ein Symbol des Stolzes.
Wie wirkt denn die deutsche und österreichische Klassik-Musik auf dich als Südkoreanerin? Wie würdest du aus deiner Sicht so ganz global die austro-germanische Klassik-Musik wie von Beethoven beschreiben? Von der Stimmung, der Philosophie, die jeweils dahinter steht, dem Schwierigkeitsgrad für die Musiker, die das Komponierte vortragen müssen, und so weiter?
Die Sinfonien von Haydn und Mozart, die Österreich repräsentieren, haben mich immer beruhigt, und die Musik von Beethoven, der in Deutschland geboren wurde, aber vor allem Wien/Österreich repräsentiert, weckte meine Leidenschaft für Musik. Obwohl ihre Musik ähnlich ist, kann man sehen, dass sie sich mit der Zeit verändert haben. Dies ist ein Zeichen dass die Musiker der damaligen Zeit immer versuchten, etwas Neues zu schaffen. Außerdem werden die Kompositionen mit der Zeit immer anspruchsvoller. Während Mozart und Haydn hauptsächlich Musik mit einfachen, aber prägnanten Melodien schufen, enthält Beethovens Musik deutlich mehr Noten und musikalische Symbole als deren.
Und jetzt die gleiche Frage nur für deutsche/österreichische Klavierkompositionen wie zum Beispiel von Schumann oder Schubert? Hört man einer Klavierkomposition an, dass diese von einem Deutschen oder Österreicher komponiert wurde? Kannst du versuchen, das für uns bitte aus deiner Sicht zu beschreiben?
Es ist sehr schwierig, zwischen österreichischer und deutscher Musik zu unterscheiden. Die beiden sind sich sehr ähnlich. Aber abhängig von den jeweiligen Entstehungszeiten, in denen die Musikformate unterschiedlich sind, ist eine Unterscheidung einigermaßen möglich. Dies liegt daran, dass die meisten klassischen Musiker aus Österreich kommen und viele Barock- und Romantik-Musiker aus Deutschland. Beispielsweise stammen Mozart, Haydn oder Czerny, die die klassische Ära repräsentieren, aus Österreich und ihre Musik verwendet einfache Melodien und Akkorde. Im Gegensatz zu ihm stammten die Vertreter der Romantik, zum Beispiel Schumann, Brahms, Wagner und Mendelssohn, aus Deutschland und ihre Musik hatte relativ ausgeprägte Melodien.
Du schreibst auf deiner Website, dass du dich nach Abschluss deines Studiums in Südkorea dazu entschieden hast, nach Deutschland zu kommen, da deine Privatlehrerin und deine Professorin hier ihr Studium absolviert haben. Außerdem ist für dich „Deutschland das Hauptland der klassischen Musik auf der Welt“…
Ja, in meiner Jugend habe ich zahlreiche deutsche Lieder gelernt, darunter auch viele Werke von klassischen Musikern. Händel, Beethoven, Telemann, Bach, Wagner, Brahms, Mendelssohn, Strauss oder Schumann: alles absolute Genies. Es stellt sich die Frage, warum gerade Deutschland so viele herausragende Musiker hervorbrachte. Ein humorvolles Sprichwort besagt, dass die häufigen Regenfälle und der Mangel an Sonnenlicht die Menschen dazu zwingen, sich auf die Musik zu konzentrieren. Dieser Gedanke findet meine Zustimmung, wenn ich an das norddeutsche Wetter denke zum Beispiel…
Abgesehen von den austro-germanischen Komponisten über die wir bisher gesprochen haben, hat auch die Musik des Polen Frédéric Chopin eine besondere Bedeutung für dich. Deine erste Station in Deutschland war Darmstadt, dort warst du in der Chopin-Gesellschaft des Pianisten Maciej Lukaszcyzyk aktiv. Welche Erinnerung hast du an diese Zeit?
Darmstadt ist die Stadt, in der ich mich zum ersten Mal niedergelassen habe, als ich nach Deutschland kam. Obwohl sie klein ist, ist es die typisch deutsche Stadt, die ich mir immer vorgestellt hatte. Beim Anblick der niedlichen Häuser und mittelalterlichen Gebäude in den engen Gassen schien es, als würde Beethoven im Viertel nebenan wohnen. Vor meinem Haus gab es einen Chopin-Verein, und ich habe von Professor Lukasz viel über Chopin gelernt. Von diesem Zeitpunkt an fing ich an, Chopin noch mehr zu mögen.
Welche Rolle spielt die Musik von Chopin für dich? Für dich als Privatmensch?
Als Klavierlehrerin? Als Konzertpianistin?
Chopin schenkt mir Respekt und Stille vor der Musik. Es ist etwas, das ich in meinem täglichen Leben immer brauche. Seine Kompositionen sind Klavierschülern sehr bekannt und einige davon sind für das Fingertraining unerlässlich, sodass sie im Klavierunterricht nie fehlen dürfen. Allerdings sind seine Kompositionen auch etwas schwieriger, so dass nicht alle Klavierschüler sie gerne lernen möchten. Als Pianistin spielt die Musik von Chopin eine zentrale Rolle in meinem Repertoire. Seine Werke gehören zu den Höhepunkten der romantischen Klaviermusik und sind ein wichtiger Bestandteil meiner Programme. Die Musik von Chopin fordert mich künstlerisch heraus und ermöglicht es mir, meine interpretatorischen Fähigkeiten zu entfalten.
Bleiben wir doch gleich ein bisschen dabei. Gibt es für dich eigentlich in deinem Geschmack Unterschiede hinsichtlich deiner Favoriten wenn die Perspektive sich ändert? Also, einfacher gesagt: hast du als Klavierlehrerin andere Lieblingsklavierkompositionen als Konzertpianistin? Und auch wiederum andere als Privatperson? Wenn ja, welche sind das genau? Was macht diese Kompositionen für die jeweiligen Perspektiven so interessant?
Die Lieder, die ich bevorzuge, sind im Allgemeinen romantische und emotionale Lieder, unabhängig vom Komponisten. Egal ob Chopin oder Liszt. Als Klavierlehrerin empfehle ich Schülern, die es als Hobby lernen, Kompositionen, die ihnen gefallen oder bekannt sind. Schüler jedoch, die sich auf Prüfungen oder Wettbewerbe vorbereiten, müssen zu einem festgelegten Lied spielen, so dass persönliche Vorlieben ausgeschlossen sind. Wenn ich spiele, ist das Wichtigste, dass der Song zu mir passt, und ich denke auch darüber nach, welche Songs dem Publikum gefallen werden.
Welche Klavierkompositionen hast du dir bisher für später aufgehoben? Es gibt zum Beispiel Kollegen von dir, die damit warten, die Goldberg Variationen von Johann Sebastian Bach zu spielen. Sie argumentieren damit, dass sie dazu erst noch die entsprechende Reife im Leben benötigen würden. Gibt es für dich auch so eine Klavierkomposition, die du sehr gerne einmal spielen möchtest, damit aber noch bewusst wartest?
Zu viele! (lacht). Früher habe ich mich nach auffälligen und schwierigen Songs gesehnt, aber jetzt habe ich dieses Verlangen nicht mehr und manchmal möchte ich wieder das Gefühl haben, als würde ich wieder ganz vorne mit der Musik beginnen. Vor allem wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich als Herausforderung gerne jeden Tag ein Lied aus der Barockzeit spielen.
Nun zu einer etwas anderen Richtung von Klaviermusik: der bekannte New Classical-Star Yiruma kommt aus deiner Heimat Südkorea. Er hat mit seiner Piano-Musik – Hit „River flows in you“ – auch in Deutschland große Erfolge gefeiert. Welche anderen Musiker/Komponisten aus Südkorea kannst du uns noch empfehlen, die wir uns unbedingt anhören sollten? Aus allen möglichen Bereichen, nicht nur Klassik.
Es gibt einen Komponisten Isang Yoon. Er wurde in Korea geboren und studierte in Berlin. Es ist unter Musikern bereits ziemlich berühmt. In Darmstadt brachte er „Musik für sieben Instrumente“ zur Uraufführung. Sein Werk, das Elemente ostasiatischer Musik mit westlicher Musik verbindet, erregte in der Musikwelt zunehmend Aufmerksamkeit. Wie du bereits gesagt hast, sind die K-Pop-Stars von Blackpink, Bts und Psy sowie die Pianisten Cho Seong-jin und Lim Yun-chan heutzutage sehr angesagt.
New Classical wie von Yiruma oder Ludovico Einaudi und auch zu Soundtracks wie von Hans Zimmer werden teilweise von Vertretern des konservativen klassischen Bereichs etwas von oben herab behandelt und als nicht ganz so anspruchsvoll abgetan. Wie reagierst du auf solche Kritik?
Am liebsten spiele oder höre ich klassische Musik, obwohl ich alle Musikgenres schätze. Heutzutage scheint es auch unter Musikern nur wenige zu geben, die New Classical nicht mögen. Es scheint jedoch, dass viele deren Stücke in ihrem Bühnenrepertoire meiden, weil sie als zu einfach zum Spielen gelten.
Nochmal kurz zurück zum sogenannten K-Pop, der in den vergangen Jahren weltweit triumphale Erfolge gefeiert hat. Aus meiner Sicht auch völlig verdient, denn es handelt sich um perfekt gemachte Pop-Musik. Vielleicht mag man das privat nicht unbedingt so sehr, muss aber einfach anerkennen, dass da Leute daran arbeiten, die einfach wissen, wie das funktioniert. Dazu hatte ich hatte aber ein vor einigen Monaten ein interessantes Gespräch mit in Hamburg lebenden Südkoreanern über das Thema K-Pop. Die fanden das eher peinlich, sie fingen auch angesichts meiner Begeisterung dafür sichtlich an meiner Musikkompetenz zu zweifeln… Wie ist deine Einstellung dazu?
Ich höre nur sehr selten K-Pop, aber ich mag die K-Pop-Stars BTS und insbesondere RM und Blackpink. Der Erfolg von K-Pop hat positive Auswirkungen auf uns als ganze Land. Tatsächlich gibt es viele Menschen, die K-Pop lieben und koreanische Lieder und Tänze lernen. Ich bin einfach dankbar und stolz, koreanische Lieder im deutschen Fernsehen zu hören.
Hörst du privat eigentlich auch Pop- oder Rockmusik? Amerikanische, britische, deutsche und so weiter? Oder Jazz? Wen?
Ich höre nicht unbedingt Pop oder Rock, aber gelegentlich höre ich Jazz, unabhängig vom vortragenden Musiker. Zu Hause bevorzuge ich ruhige Musik, deshalb höre ich oft sowie Kompositionen von Fauré, Saint-Saint und Sibelius.
Auf welchem Klavier/Flügel spielst du am liebsten? Ich gehe davon aus, dass es ein Instrument von KAWAI sein wird, aber welches Modell von denen liegt dir am meisten?
Mein Favorit ist eindeutig Shigeru Kawai (= SK). Das Unternehmen produziert seit knapp 100 Jahren ausschließlich Flügel und Klaviere. Schon vom ersten Ton an wird deutlich, mit wie viel Liebe, Hingabe und Perfektion die SK-Serie gefertigt wird. Diese zeichnen sich in jeder Größe durch einen Klang aus, der bei mir sofort ein Gefühl von Behaglichkeit erzeugt.
Neulich hast du bei KAWAI Hamburg an einem Art & Music-Event der Kunstberatungsfirma YAC teilgenommen. Was für eine Beziehung hast du zur darstellenden Kunst wie zum Beispiel der Malerei? Wirkt das inspirierend auf dich?
Über Kawai Hamburg bin ich auf diese Art Consulting Firma aufmerksam geworden und so ergab sich dieses Projekt. Kunst und Musik haben eine Synergie-Wirkung, die sich gegenseitig verstärkt und die das Publikum sofort spürt. Wenn ich Klavier spiele, kommt mir immer ein bestimmtes Bild in den Sinn. Also spiele ich nicht nur mit den Fingern Klavier, sondern gleichzeitig wird ein Bild im Kopf erzeugt, das macht das Musizieren so schön für mich. Auf dem YAC-ART & MUSIC-Event bei KAWAI im Herbst 2023 spielte ich Kompositionen von Musikern, die vom Künstler Holger Mühlbauer-Gardemin porträtiert wurden. Diese Art von Veranstaltung war für mich sehr neu, aber es hat mir sehr gefallen. In diesem Fall war es nicht ein Bild, das ich mir selber beim Spielen in meiner Fantasie vorgestellt habe, sondern reale Bilder auf denen Pianisten/-innen wie Martha Argerich, Lang Lang oder Fazil Say zu sehen sind. Da war eine wunderschöne Harmonie im Raum, wie Blumen und Schmetterlinge auf einer Frühlingswiese. Diese sehr schöne und unbedingt sehenswerte Ausstellung bei KAWAI läuft übrigens noch weiter bis zum Sommer.
An was arbeitest du gerade, welches Klavierwerk studierst du momentan? Welche besonderen Anstrengungen erfordert dieses Werk von dir?
In letzter Zeit spiele ich Etüden von Franz Liszt und Frédéric Chopin, um meine Finger zu üben, und Scarlattis Sonaten. Außerdem spiele ich aus Spaß fröhliche Lieder zu sowie „Mazurka en Glissando“ von Ernesto Lecuonas während ich auf den Frühling warte.
Und wie lauten deine mittel- bis langfristigen Ziele als Musikerin? Was möchtest du in 5 Jahren alles erreicht haben?
Mein Traum ist es, so glücklich zu leben wie jetzt. Ich versuche, viel Musik aufzunehmen, mehr Konzerte zu spielen und so mehr Leute für mein Klavierspiel zu begeistern.
Für wann ist dein nächstes Solo-Konzert angesetzt, gibt es schon einen festen
Termin? Was für ein Programm wird es sein?
Ein konkretes Datum steht noch nicht fest, aber ich plane derzeit ein Konzert mit romantischer und emotionaler Musik in der Kulturkirche in Hamburg-Altona.
Da freuen wir uns darauf, lass uns unbedingt wissen, wann das sein wird, wir sind dann mit dabei! Hier geht zum www.klavierunterrichtinhamburg.com
Biografie Sejung Choi
Mit sechs Jahren begann die musikalische Reise der Pianistin Sejung Cho. An diesem Geburtstag schenkten ihre Eltern ihr ein neues Klavier samt Klavierunterricht. Danach erhielt sie jedes Jahr zu ihren Geburtstagen Klaviernoten mit europäischen Kompositionen, welche ihre Faszination für Deutschland, das bei ihr als die Heimat der klassischen Musik gilt, weiter beflügelten.
Ihr Studium im Hauptfach Klavier absolvierte sie an der Chosun-Universität in Gwangju/Südkorea, im Nebenfach widmete sie sich der Musikpädagogik. Nach ihrem Abschluss spielte sie mit dem Gwangju City Orchestra das Klavierkonzert in a-Moll op. 16 von Edvard Grieg und trat auch weiterhin mit Werken des norwegischen Komponisten auf, bevor sie die Gelegenheit bekam, nach Deutschland zu reisen.
In Darmstadt, ihrer ersten Station in Deutschland, begegnete sie dem Pianisten Maciej Lukaszcyzyk, dem damaligen Präsidenten der Chopin-Gesellschaft dort, und wurde noch tiefer von der Musik Chopins fasziniert. Weitere Veranstaltungen für die Gesellschaft folgten, bis sie schließlich in Hamburg ankam, um am Johannes-Brahms-Konservatorium ein Diplomstudium zu beginnen und abzuschließen. Seit 2021 leitet sie in Zusammenarbeit mit Kawai Hamburg die „Klavierschule Kawai Hamburg“.
von Cetin Yaman