Italienische Star-Autorin Dacia Maraini sorgt sich um politische Gegenwart
Der Büchermarkt ist ein schwieriger. Auch wenn es sich bei den Deutschen um ein lesefreudiges Volk handelt, haben es viele Autoren nicht leicht. Und wenn dann ein Buch nach 60 Jahren auch noch eine Neuübersetzung erhält, dann muss es sich aber schon wirklich um etwas Besonderes handeln. Das ist beim Roman „Tage im August“ der italienischen Schriftstellerin Dacia Maraini der Fall. So wurde sie in den vergangenen Jahren immer wieder – unter anderem wegen dieses Werks, das sie im Alter von 26 Jahren verfasste – auch als italienische Anwärterin auf den Nobelpreis für Literatur gehandelt. Nun war sie neulich persönlich zu Gast im Italienischen Kulturinstitut Hamburg und wurde an dem Abend von Literaturwissenschaftlerin Paola Barbon interviewt.
Ein Teenager entdeckt die Erotik – das Buch, das den Durchbruch bringt
„La vacanza“, so der Titel des Originals, sorgte bei seinem Erscheinen 1961 für mächtig viel Wirbel. Hauptfigur ist ein 14-jähriges Mädchens, das gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ihre ersten sexuellen Erfahrungen macht. Die damals herrschenden streng puritanischen Sitten ließen es nicht zu, dass so eine Erzählung von den Kritikern gut geheißen werden konnte. Nichtsdestoweniger machte dieses Buch sie über Nacht berühmt.
„Die Sonne brennt unbarmherzig, heiß sind die Tage am Meer. Auf Anna wartet die lang ersehnte Freiheit. Es ist Sommer 1943. Endlich holt der Vater die Vierzehnjährige und ihren jüngeren Bruder aus dem Nonnen-Internat ab, um die Ferien in einem Badeort in der Nähe von Rom zu verbringen. Anna ist hungrig nach Welt, sie will wissen, wie Liebe wirklich geht. Während das Dröhnen der Jagdbomber am Himmel die schläfrige Stille der Tage durchbricht, lernt sie in der Badeanstalt Savoia die gierigen Blicke junger wie alter Männer kennen und macht ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Anna will das Unbekannte erfahren…“.
Politik spielt bei Maraini eine wichtige Rolle – damals wie heute
Nicht unwesentlich ist dabei die Zeit, in der das Ganze eingebettet ist. Der Kampf zwischen den italienischen Faschisten und die von Süden vorrückenden Allierten ist raffiniert als Hintergrund in die Geschichte eingewoben. Doch die 87-Jährige sieht das nicht als interessanten Nebenbei-Geschichtsunterricht, sondern stellt traurige Parallelen zur Gegenwart fest: „Anna, die Heldin dieses Buchs, lebt 1943 und damit in einer Zeit, die mit dem aufkommenden Faschismus erschütternd viele Gemeinsamkeit zum Jahr 2024 aufweist. All diese hässlichen Themen kommen nun leider wieder. Auch darum ist es schön und wichtig, dass das Buch nun in der Sprache unserer Zeit vorliegt“. In der aktuellen italienischen Politik kann sie sich als jahrzehntelange Aktivistin selbstredend nicht mit der postfaschistischen Regierung von Giorgia Meloni anfreunden. Aber auch die Linke in ihrer Heimat sieht sie kritisch: „Am Ende war es so, dass sich das linke Spektrum in viele Splittergruppen aufgeteilt und damit an Einfluss verloren hat. Auch hat sie es nicht geschafft, den vollzogenen gesellschaftlichen Wandel – der ja auch dank ihrer Arbeit erzielt wurde – mit neuen Visionen zu manifestieren“.
Soziale Medien sind eine Gefahr – auch für den Feminismus
Im Gespräch auf der Bühne erinnert sie sich, dass aber auch die Zeit der 60er und 70er Jahre in Italien keine einfache gewesen ist. Es gab eine staatliche Zensurbehörde, die alles kürzen, streichen, redigieren durfte, was ihr nicht passte. Wider Erwarten sei die Gegenwart aber nicht unbedingt besser, so Maraini weiter. Das 21. Jahrhundert mit dem Aufstieg rechtsextremer Parteien zeige eher eine Entwicklung zurück, so würden auch soziale Medien mit den inflationären Pornographie-Angeboten die Rolle der Frauen, vor allem junger Mädchen auf Sex-Objekte reduzieren.
„Das hinterlässt Spuren, und keine guten“. Dacia Maraini hat sich in ihren Büchern stets den Frauenrechten gewidmet. Nun macht sich nach Jahren des Kampfes Sorgen um die Errungenschaften des Feminismus. Das merkt man ihr an dem Abend an, mit leicht trauriger Stimme und Miene stellt sie der Gegenwart kein gutes Zeugnis aus.
Die intensive, hoch interessante Veranstaltung bietet detaillierte Erlebnisberichte aus vergangenen Tagen – Mariani hat auch den Zweiten Weltkrieg als kleines Kind miterleben müssen – , es sind spannende orale Dokumente einer sehr glaubwürdig erscheinenden Zeitzeugin, von der man sich gern vor aktuellen und zukünftigen Gefahren warnen lässt.
Die neue Auflage von Dacia Marainis Roman „Tage im August“ („La Vacanza“, Neuübersetzung von Ingrid Ickler) ist erschienen beim Folio Verlag.
von Cetin Yaman